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sabinescholl

Posted on 27.8.2021

Hat die Epoche der Romantik ein Comeback oder war sie nie weg? Bislang war sie jedenfalls nicht im Diogenes-Verlag zu entdecken, sondern wurde meist in Form von Fantasy bei darauf spezialisierten Häusern verlegt. Was aber bringt die Sehnsucht nach einer verklärten, weil erfundenen Vergangenheit? Die Verlagswerbung für den Roman „Junge mit schwarzem Hahn“ verspricht Lesenden die Möglichkeit einer Weltveränderung, indem sie sich in eine “nur scheinbar längst vergangene Zeit“ begeben. Sind damit jene Epochen gemeint, als das Wünschen noch geholfen hat? Nun, da eine jüngere literarische Generation zu ihrer politischen Stimme jenseits von Alt68ern findet, während andere Schreibende längst in weitreichenden Erzählsträngen und Figurenvorgaben der Fantasy herumstreifen, geht es mit Stefanie vor Schulte in die Welt der Märchen. Begeben wir uns also in diese Versuchsanordnung, gönnen wir uns diesen Traum! Die Geschichte setzt im „Dorf“ ein, ein elternloser Junge lebt dort mit einem Hahn. Er ist allein und arm. Der Hahn erinnert die Dorfleute an den Teufel. Typisch Außenseiter also, ohne Familie, am Dorfrand, ohne Schulbildung etc. Dazu kommt „Der Maler“, ebenfalls typisch, Künstlerfigur der Romantik. Antibürgerlich, nicht sesshaft sind auch die Schausteller. Die Dörfler tragen nachvollziehbare Namen, wie Sattler. Die Zeit bleibt unbenannt, doch „Es ist Krieg“ heißt es. Erzählt wird davon kaum. Dafür sind die Augen des Jungen schön, auch das Mädchen Franzi ist schön. Die Pfarrersfamilie, bei der er zeitweise unterkommt, findet er schön, die Stimme eines jungen Sängers ist schön. Was aber bedeutet dieses Wort bei redundanter Verwendung überhaupt noch? In kurzen, unkomplizierten Sätzen wird auf Versatzstücke aus Märchen, Sagen, Legenden angespielt, wie der Hahn, der einem Eindringling ins Gesicht fährt (Bremer Stadtmusikanten), der schwarze Reiter, der Kinder holt, (Erlkönig), etc. Die Dramaturgie ist von Anfang an klar: Außenseiter, Kinder, Tiere sind unschuldig und gut. Der Mainstream ist falsch, verlogen und voller Vorurteile. Als es dem Jungen schlecht geht, beginnt der Hahn zu sprechen, wird sein Führer und Retter. Seine Stimme ist wie von Gott geliehen. Er spricht auch wie Gott, wenn er sagt: „Ich bin dein Licht“, und Weisheiten von sich gibt, etwa: „In deinem Leben gibt es Unerklärliches, damit du zum Erklärlichen gelangst“. Dann wieder kräht er „eine hohe Klage in die Welt.“ Fast wie im Kirchenlied. Gott und Teufel bewegen sich in diesem Buch ganz unbefangen. Die Natur wird personalisiert, z.B. freut sich die böse Schlucht, wenn Tiere und Menschen in sie fallen. Vielleicht liegt es daran, dass ich viel lese und als Jurorin oder Gutachterin bereits eine Unmenge an Schreibweisen kennengelernt habe, dass mir der Roman unterkomplex erscheint. Dabei bin ich durchaus eingelesen in Versuche, Genre, mythische und Märchenelemente in die Literatur einzuführen, habe grundsätzlich nichts dagegen, sofern es gut gemacht ist. Formulierungen aber in der Art von, „wie magisch angezogen“ oder der leichtfertige Umgang mit dem Bedeutungsfeld „Vision“, sind ein paar Abkürzungen zu viel. Oder ist das der Versuch des Verlags, das Potenzial von Fantasy-Lesern zu erreichen, und sie vom formelhaften Figuren- und Symbol-Inventar dieses Genres in die vermeintlich deutsche Tradition der Märchen zurückzuführen? Die aber ohnehin zusammengestohlen und umgeformt und im Nachhinein zum Volksgut erklärt wurden? Ich rätsle.

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