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sabinescholl

Posted on 26.8.2021

Die Rede vom Eintauchen in die Atmosphäre einer Stadt trifft auf Alida Bremers Roman „Träume und Kulissen“ vollkommen zu. Seine Lektüre macht die kroatische Küstenstadt greifbar, riechbar und ja, auch ess- und trinkbar. Selten hat ein Roman, noch dazu ein historischer, derart ausführlich von Kulinarischem geschwärmt. Zusammen mit den Protagonistinnen gibt es Kutteln, Oktopus, Rinderblut, frisches Brot, Algen, Hörnchen mit Marillenmarmelade, Kalbsschnitzel, Gulasch, Gnocchi, Rinderbraten, Gefüllte Paprika, Maraschinokugeln, Rahat-Lokum, Orangenmarmelade, Käse, Melonen, Doraden, Fladenbrote mit Mangold und noch viel mehr zu schmecken. Zu trinken gibt es Wein, Walnussschnaps, Proschek, ein süßliches, aus Rosinen gepresstes Getränk, das ich völlig vergessen hatte. Trotz aller Genüsse handelt es sich in Bremers Roman aber um die Darstellung einer Epoche, bestimmt von der zunehmenden politischen Macht der Nationalsozialisten und Faschisten. Die Handlung konzentriert sich auf den Juli 1936, kurz vor Beginn der Olympischen Spiele in Berlin. Die Atmosphäre ist aufgeladen und politisch brisant, weil in Split Kulturen, Sprachen, Interessen und politische Bekenntnisse aufeinandertreffen. Nazi-Propagandafilmer nutzen die Adria als Kulisse, Mussolini-Sympathisanten proben den Aufstand. Gleichzeitig warten aus dem Deutschen Reich Geflüchtete auf eine Passage nach Übersee; kommunistische Aktivisten agieren als Fluchthelfer. Schlepper, Schmuggler, Fälscher machen Geschäfte mit den Verfolgten. Als in der überhitzten Stimmung ein Mord geschieht, setzt ein Reigen von Verdächtigungen ein. Der Polizeipräsident will die Flüchtlinge dafür verantwortlich machen. Einige meinen die deutsche Filmcrew als Schuldige zu erkennen. Andere wiederum möchten das Verbrechen nutzen, um gegen die Kommunisten vorzugehen. Ein Kommissar treibt durch die Stadt, kommt mit seinen Ermittlungen kaum voran. Die Figur wird von Bremer vor allem gesetzt, um das kulturelle Panorama der kroatischen Küstenstadt zu feiern, Historie als Alltagsgeschichte zu erzählen, sowie Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Schichten und Sprachen zu Wort kommen zu lassen. Die Anwesenheit der deutschen Schauspieler, Regisseure und Assistenten in der Stadt wirkt wie ein Vorausblick auf kommende politische Veränderungen. Das Kino prägt alle Wahrnehmung und die Interpretation des Wahrgenommen. So auch die Eingangsszene, in der ein großer Fisch im Netz erst allmählich als Mordopfer erkennbar wird. In der Folge fallen Film, Traum, Fantasie und Wünsche immer mehr ineinander, werden nahezu ununterscheidbar. Illusionen regieren. So soll Split für die deutschen Propagandafilme Sewastopol am Schwarzen Meer darstellen, oder seine Palmen für ein Setting in Tunesien stehen. Zuweilen erzählt die Autorin einzelne Szenen sogar in der Art eines Drehbuchs, im Konjunktiv: „Wäre das ein Film, würde die Kamera im Orientalischen dieser Bilder schwelgen. Sie würde die Teppichmuster zeigen und versuchen, ihre Farbenpracht durch eine geeignete Beleuchtung in verschiedenen Nuancen zwischen Weiß und Schwarz wiederzugeben.“ Selbst die Figur Frederik, deutscher Filmmensch und heimlicher Kommunist, übernimmt diesen Trick. „Eine Rückblende würde zeigen, wie ich zum ersten Mal nach Split gekommen bin und wie ich mich auf der Stelle in diese Stadt verliebt habe. Wie ich Jana kennengelernt habe. Vielleicht würde es in dem Film eine Traumsequenz geben, in der gezeigt würde, dass ich Angst vor Joseph Krause habe.“ Neben Film, Politik, Kulinarik und Mord packt Bremer noch Liebes-, Heirats- und Familiengeschichten, sowie eine Prise Poetik in ihren Gesellschaftsroman, wenn sie die Protagonisten über Gattungsgrenzen und die alte Frage, ob Literatur nur belehren oder auch unterhalten könne, diskutieren lässt. Ich jedenfalls habe bei der Lektüre von „Träume und Kulissen“ sehr viel gelernt und dabei Spaß gehabt. Split steht ab nun auf meiner Reise- und Speiseliste.

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