sommerlese
Der Roman "Meine Freundin Lotte" von Anne Stern erscheint im Kindler Verlag. "Die Erinnerung ist wie ein Lebewesen, ...manches koloriert sie auf liebevollste Weise... dann riechen und schmecken wir die Dinge, als seien wir in einer Zeitkapsel zurückgereist." Zitat Seite 15 Berlin, 1921: Lotte Laserstein will Malerin werden, sie überwindet die Hürden, die jungen Frauen vonseiten der Männer entgegenschlagen und studiert an der Kunstakademie. Die junge Fotografin Traute ist ebenfalls Kunstbegeisterte, sie wird Lottes Modell, Freundin und engste Vertraute. Als die politische Situation sich immer mehr gegen Juden wendet, flieht Lotte 1937 nach Schweden. Kalmar, 1961: Traute besucht mit ihrem Mann ihre Freundin Lotte in ihrer neuen Heimat. Ihre Freundschaft verbindet beide Frauen noch immer, aber einiges aus der Vergangenheit steht zwischen ihnen und muss endlich ausgesprochen werden. Als Inspiration zu diesem Roman diente Anne Stern die deutsch-schwedische Malerin Lotte Laserstein (1898 - 1993). Sie war eine der ersten Frauen, die ihr Studium an der Vereinigten Staatsschule für Freie und Angewandte Kunst in Berlin mit Auszeichnung abschloss. Dieser Roman spinnt sich fiktiv um eine reale Figur und solche biografisch angehauchten Bücher interessieren mich sehr. Von Anne Stern habe ich bisher noch nichts gelesen, muss mich aber nach dieser Lektüre ihren Fans anschließen. Sie versteht es wunderbar mit Worten umzugehen, ihr Erzählstil liest sich angenehm, er ist sehr bildgewaltig und teilweise fast poetisch. Man kann in manchen Beschreibungen einfach nur versinken. Sehr eindrucksvoll lässt Anne Stern die Figuren wechselseitig erzählen und weckte damit meine Neugier auf die unausgesprochenen Vorkommnisse in der Vergangenheit. Bei der Charakterzeichnung bekommt Lotte den größeren Part in der Erzählung und wirkt mit ihrer Künstlerrolle und als Heimatvertriebene auch interessanter als Traute. Als Frau war der Weg in der Künstlerszene nicht einfach, die Widerstände werden im Roman gut deutlich gemacht. Überhaupt spielt die Leidenschaft für die Kunst im Roman eine große Rolle. Ein wichtiger Aspekte sind die eingebauten Entstehungsprozesse einiger Kunstwerke, sie machen deutlich wie beseelt Lotte von ihrem Schaffen war und welche Rolle ihre Muse und Seelenverwandte Traute dabei spielte. Das gemeinsame Wiedersehen 1961 in Kalmar soll an die alte Freundschaft anknüpfen, aber viele unausgesprochene Wahrheiten haben einen Keil zwischen die Freundinnen getrieben, den es nun zu entfernen gilt. Doch die Vergangenheit wiegt schwer, deshalb braucht es Zeit, bis sich die Frauen endlich öffnen. Die Handlung scheint an manchen Stellen vor sich hin zu plätschern, doch genau diese tiefe Betrachtung der Frauen und ihrer Erlebniss bringen die Figuren zum Leuchten. Manche Leser:innen werden das als Längen darstellen, für mich war es tiefes Eintauchen in die Figuren und in die Zeit. Von Lotte Laserstein und ihrer Kunst hatte ich noch nicht gehört, deshalb war diese Lektüre für mich ein interessanter Ausflug in die Kunst, der auch die jüngste deutsche Vergangenheit in Erinnerung brachte. Die Erzählfähigkeit Anne Sterns zu entdecken war für mich eines der Buch-Highlights schlechthin.