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katkaesk

Posted on 18.8.2021

Jessica Lind hat mit Mama ein Buch in österreichischer Tradition geschrieben: Idylle gepaart mit dunklen Wäldern, die Idee einer traditionellen Kleinfamilie mit einem gewaltigen Riss versehen. Es ist eine österreichische Geschichte, die beginnt, wie alle guten Geschichten beginnen: Amira und Josef wollen ein Kind, genauer gesagt, Amira will ein Baby, Josef verneint nicht. Seine Angst, dass er wie sein Vater wird, lähmt ihn. Sie beschließen, einmal noch ohne Kind dort hinzufahren, wo Josef seinen Vater das letzte Mal gesehen hat: Ein Haus mitten im Wald, ohne Handyempfang, ein natürlicher Irrgarten zwischen hohen Bäumen. Amira hasst diese Umgebung, begegnet sie doch immer wieder einem Wanderer, der ihr nicht geheuer ist und eine gewaltbereite, rachsüchtige Hündin. Als Amira endlich schwanger ist und schließlich auch ein Mädchen namens Luise bekommt, nähern sie sich erneut dem gruseligen Zuhause, das eigentlich keines ist. Die Angst der Familie um das Mädchen frisst sie innerlich auf, und Amira verliert sich in Traum und Wahn. Man weiß nicht, ob das, was Amira erlebt, noch passieren wird, in der Vergangenheit liegt oder ein Hirngespinst ist. Die Protagonist*innen im Buch erscheinen zunächst klischeehaft, erweisen sich aber im Laufe des Buches alles andere das: Amira wird zur Kämpferin, Josef wird weich und nahbar. Zunächst als undurchdringliche Wand der Konvention zeigt das Buch schnell seine dunkle, bedrohliche Seite. Lind bestimmt die Nähe und Distanz zu den Dingen und Pflanzen, einen vermeintlichen Neuanfang, Todesangst genauso wie Verzweiflung. Der Wald und der Hund als Begleitthema erinnert an Marlen Haushofers “Wand”. Ein Blick genügt, man erkennt die starke namenlose Frauenfigur unter der Glasglocke, die von Luise verlassen wird. Die Zusammenarbeit mit Jessica Hausner lässt sich nicht leugnen, man erkennt in dem Buch Hausners Film “Hotel” und kann auch diesbezüglich Parallelen erkennen. Optisch und haptisch präsentieren sich die Bücher in bester kremayrscher Manier, Ekke Wolf hat ein großartiges Design vorgelegt, das einen immer gerne zu Büchern von Kremayr & Scheriau greifen lässt. Sprachlich überzeugt das Buch auf allen Ebenen. Gelungene Dialoge, die den Text als Grundlage für ein Drehbuch erkennen lassen und bedrohliche Bilder entstehen lässt. Es ist definitiv ein Buch, das als Film funktionieren würde. Das Buch lässt böse Vorahnungen zu, kippt zwischen den Szenen so schnell, dass man sich als Leser*in verfolgt und verängstigt fühlt. Schnell lesende Personen werden in Versuchung geführt, ebenjene Szenen nochmals aufgrund der fehlenden optischen Begrenzung zu lesen. Es wäre auch als optisches Stilmittel zur Verdichtung des Romanes zu verstehen. Jessica Lind legt jedenfalls mit ihrem Debüt ein Buch vor, dass als mit Horror und Panik nicht geizt.

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