Lena von fuddelknuddels Bücherregal
Sanctuary hat mich mitgenommen. Mich deprimiert, mich aufgewühlt, mich wütend gemacht. Mich schockiert, angeekelt, mir Unbehagen bereitet und mich zutiefst niedergeschmettert. Aber mich zugleich auch aufgerüttelt, aufmerksamer gemacht, sensibilisiert. Mir die Augen weiter geöffnet. Im Vorfeld hatte ich tatsächlich eher eine klassische Dystopie mit rebellischem Verlauf erwartet. Dass eine unterdrückte Menge sich aufbäumt, kämpft, gewinnt. Doch man bekommt etwas ganz anderes, etwas größeres, wichtigeres. Man bekommt etwas erschreckend lebensnahes, authentisches, realistisches. Und das hat mich beim Lesen schon so viel Energie gekostet, dass ich mir auch nach dem Lesen immer noch nicht ausmalen kann, wie es die Menschen in solchen Situationen wie denen, die Vali auf ihrer Reise durchmachen musste, schaffen, nicht die Hoffnung und den Lebenswillen verlieren. Die Stimmung des Buches ist sehr düster. Stellenweise wird es sogar etwas brutaler und expliziter, womit ich für meinen Teil in dem Maße nicht gerechnet hatte. Ich bin allerdings auch ein Weichkeks, was das angeht, für andere war es vielleicht genau richtig oder gar noch zu wenig. Die ständige Flucht und das andauernde Gefühl, jemanden im Nacken sitzen zu haben, machten das Leseerlebnis nicht zu einem spaßig-unterhaltsamen, sondern einem gehetzten, bedrückenden, aber zugleich auch rasant-spannendem. Ich mochte das Buch gar nicht aus der Hand legen, denn ich war trotz oder vielleicht gerade durch diese dunkle, hektische Atmosphäre dermaßen an die Geschichte gefesselt, dass ich mich kaum losreißen konnte. Vali als Protagonistin wirkt jung und alt zugleich. Dass sie noch ein Kind ist, kommt besonders anfangs häufig durch, verliert sich allerdings im Verlauf des Buches immer mehr. Sie wächst so enorm an den Situationen, die sie mit ihrem Bruder durchmachen muss, es war gleichzeitig bewundernswert wie traurig mit anzusehen. Wie sie es meistert, in Anbetracht der Umstände im Blick zu behalten, was für sie und Ernie das Beste ist, und trotzdem im Großen und Ganzen nicht die Nerven verliert, zeugt von ungeheurer Stärke. Der gesellschaftskritische, aufrüttelnde Aspekt der Geschichte ist allgegenwärtig. Die Autorinnen erläutern in einem Nachwort, was genau sie dazu bewegt hat, dieses Buch zu schreiben. Sie machen mithilfe von Vali und ihrer Flucht darauf aufmerksam, wie ausgeprägt die Privilegien der Weißen sind, wollen aufklären und zeigen, wie es weitergehen kann, wenn sich nichts ändert. Das erschreckende an der Geschichte war, wie realitätsnah das Geschriebene tatsächlich wirkt, wie direkt es auf das heutige Leben und die politischen Entwicklungen bezogen werden kann. Gefühlt sind wir nicht so weit von den Verläufen des Buches entfernt und das ist in höchstem Maße beunruhigend. Ich habe noch lange über Vali nachgedacht und ich weiß, dass mir „Sanctuary“ auch weiterhin lebendig im Gedächtnis bleiben wird. Mein Fazit: Ein schockierendes und wichtiges Buch, was allerdings nicht für Leser zu empfehlen ist, die nach lockerer Unterhaltung und oberflächlichen Themen suchen. Hier geht es in die Tiefe, es wird ernst, es wird aufrüttelnd. Wenn ihr euch nicht belehren und aufklären lassen und stattdessen weiterhin die Augen verschließen wollt, lasst die Finger von diesem Buch. Für alle anderen spreche ich eine große Leseempfehlung aus! Von mir gibt es 5 von 5 Sternen.