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sursulapitschi

Posted on 11.8.2021

Ich habe „Der Grund“ von Anne von Canal gelesen und war sehr begeistert. Deshalb wollte ich unbedingt dieses Buch lesen. Es klingt wie ein spaßiges Experiment: Zwei Autoren schreiben einen Briefroman und sprechen nur die Ausgangssituation ab, der Rest bleibt der jeweiligen Fantasie überlassen. Man wirft sich Bälle zu und guckt, wie der andere reagiert. Johann ist Busfahrer und findet in einer Telefonzelle Janas Terminkalender. Er legt ihn beiseite, bis er Jahre später wieder darüber stolpert und ihn reichlich verspätet zu Jana zurückschickt. Das ist der Beginn einer höchst ungewöhnlichen Brieffreundschaft und ergibt auf jeden Fall ein höchst ungewöhnliches Buch, auch wenn ich mich damit etwas schwergetan habe. Zunächst einmal muss man sich daran gewöhnen, dass hier ein Busfahrer sprechen soll? Ein Busfahrer? „…für einen Busfahrer verläuft der Alltag nach den Gesetzen von Ebbe und Flut. Ungeachtet der Wetterverhältnisse, der Umstände und Befindlichkeiten, wie das Wasser den Anziehungskräften des Mondes ausgeliefert, stapeln sich morgens die Fahrgäste, schwitzend oder regendurchnässt, in die Fellimitat-Kragen verkrochen, die Fingerspitzen mit den Resten des Nachtatems wärmend oder eben nervös die Klappfenster öffnend, um das Gesicht in den Fahrtwind zu halten. Die hecheln wie schwitzende Hunde.“ So klingen Busfahrer selten. Dieser hier hat auf jeden Fall schriftstellerischen Ehrgeiz, wenn nicht gar Literatur studiert. Ja, das kommt vor, natürlich. Weiter geht es sprachlich elaboriert und weitschweifig. Man bekommt den Eindruck, dieser Busfahrer hört sich vor allem gerne selbst reden. Er plaudert und witzelt und referiert, beobachtet, philosophiert, alles wunderbar, nur auf Janas Brief geht er kaum ein. Die beiden scheinen auch keine Kennenlernphase zu benötigen, kein Herantasten, kein Vertrautwerden, es geht direkt hinein in die Nervenheilanstalt. Man schüttet sich direkt gegenseitig sein Herz aus. Nach reichlich Schlenkern und Drumherum bekommt man tatsächlich eine Idee vom Leben der beiden und sogar höchst dramatische Wendungen präsentiert. Vielleicht hätte es mir auch gefallen können, wäre dieser Busfahrer ein wenig mehr beim Thema geblieben. Er redet und redet und scheint sich lieber an seiner Redegewandtheit zu ergötzen als eine Geschichte zu kreieren. So etwas mag den Autoren Spaß bereiten, ein Lesespaß ist es nicht. Selbst wenn dieses Buch ein Schreibexperiment ist, sollte sein Ansinnen doch sein, ein plausibles Buch zu ergeben. Es ist aber zu großen Teilen nur Selbstdarstellung. Ich verbuche dieses Werk als eine Erfahrung und machte künftig einen großen Bogen um schreibende Busfahrer.

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