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Wordworld

Posted on 8.8.2021

Handlung: "Bring die Leute zum Weinen und dann bring sie zum Lachen", sagte mein Dad immer. "Aber vor allem erzähl eine gute Geschichte." - und genau das macht Rachel Lynn Solomon "Ex Talk". Anders als ich erwartet hätte, ist ihr Debüt im Erwachsenenbereich nicht nur eine unglaublich süße Liebesgeschichte, sondern greift auch ernstere Themen wie die Angst vor Veränderungen, Sexismus bei der Arbeit, Trauerbewältigung und die großen und kleinen Hürden des Erwachsenwerdens- und seins auf. Toll ist dabei auch der Fokus auf das Radio, welches hier nicht nur ein nettes Zusatzdetail bleibt, sondern das authentische Herzstück der Geschichte einnimmt. Da die Autorin selbst jahrelang Radiosendungen produziert hat, ist es nicht überraschend, dass ihr Einblick in die Welt der RedakteurInnen und ModeratorInnen lebendig, glaubhaft und einfach nur hinreißend ist. Aufgepeppt wird die Handlung zusätzlich durch Ausschnitte aus dem Transkript von Ex Talk, kurze Einbezüge vom Twitter-Feed der Sendung, I-Tunes-Rezensionen, Emails und Textnachrichten. Ich bin also von der ersten bis zur letzten Seite mitgerissen worden von dieser spritzigen Geschichte. Etwas schade - und das ist der einzige Grund für den Punktabzug - ist nur, dass gegen Ende die gesamte Geschichte etwas chaotisch auseinander fällt (was sich aufgrund der Lüge, auf der die Sendung von Shay und Dominic beruht, zwar angedeutet hat, insgesamt jedoch etwas über das Ziel hinausschießt). Figuren: Das beste an der Geschichte sind die sehr echten, lebendigen und diversen Figuren, die verschiedene Religionen, Sexualitäten und Ethnien wunderbar beiläufig miteinbringen und vormachen, dass Charaktere in Liebesromanen mehr sein können als oberflächliche Projektionsfläche für hormongesteuerte Träume. "Ich bin ein komplexer, vielschichtiger Mensch", sagt Dominic von sich selbst, als Shay bemerkt, dass er mehr verbirgt, als sie nach dem ersten Eindruck angenommen hätte und das stimmt: beide Hauptfiguren sind so authentisch und mit vielen liebenswerten Eigenheiten gefüllt, dass man beinahe annimmt, man könne ihnen ohne weiteres auf der Straße über den Weg laufen. Diese Echtheit führt zusammen mit der anfänglichen Haters-to-Lovers-Energie dazu, dass die beiden eine tolle Dynamik haben und man das Prickeln zwischen ihnen "Live auf Sendung", bei einem Wochenendtrip oder auch im ganz normalen Alltag fühlen kann. Schreibstil: Rachel Lynn Solomons Schreibstil ist dabei locker, witzig und so jugendlich-modern, dass man merkt, dass die Autorin zuvor vor allem im Young Adult Genre anzutreffen war. Überrascht war ich von den doch eher expliziten Sexszenen, die ich aufgrund der Atmosphäre und des Erzählstils in der Form nicht erwartet hätte. Neben den selbstironischen Gedanken Shays, denen wir dank der Ich-Perspektive lauschen dürfen, und den Schlagabtäusche mit Dominic machen auch die vielen Insiderwitze die Geschichte lesenswert. Besonders inspiriert hat mich Shays Lebensmotto WWEMWMT, bei dem sie sich regelmäßig die Frage stellt, "Was würde ein mittelmäßiger weißer Mann tun?", sobald sie sich unsicher fühlt, um eine Sache zu bitten, die für Männer ganz selbstverständlich sind. Hier kommt genau wie in der Charakterarbeit und der reflektierten Darstellung von Misogynie durch Shays Chef Kent ein Hauch von Feminismus durch, der die Geschichte nochmal viel besser macht! Die Zitate "Die meiste Zeit zwischen zwanzig und dreißig habe ich dieser Idee von Familienglück hinterhergejagt, mit dem ich aufgewachsen bin. Und ich weiß eigentlich noch nicht mal mehr, was das heißt... nur dass ich mich so sehr nach Beständigkeit und Behaglichkeit sehen, dass es mir manchmal Angst macht." "Erwachsensein ist ganz schön scheiße", sagt er und die Direktheit seiner Worte bringt mich trotz allem zum Lachen. „Allerdings“, stimme ich zu." "Es macht mir Angst. Das alles macht mir Angst - seine Eltern und das Kinderzimmer und die Seiten von ihm, die er niemandem sonst zeigt. Das alles wirft in mir die Frage auf, ob er letztendlich doch nicht so verkehrt für mich ist. Wenn er mich weiter so berührt, als wäre ich etwas Kostbares, etwas Zerbrechliches, könnte ich mich tatsächlich in ihn verlieben. Vielleicht bin ich auch schon halb verliebt..." "Du brauchst es mir nicht zu erklären", sage ich, obwohl ich nur zu gern eine detaillierte Erklärung mit begleitender PowerPoint-Präsentation hätte." "Wenn man jemanden verliert, passiert das nicht nur einmal. Es passiert jedes Mal wieder, wenn man etwas Großartiges macht, von dem man sich wünscht, die Person könnte es sehen, jedes Mal, wenn man nicht weiterweiß und einen Ratschlag bräuchte. Jedes Mal, wenn man versagt. Es untergräbt das Gefühl für das Normale, und was stattdessen entsteht, ist eindeutig nicht normal, und trotzdem muss man irgendwie damit leben. Zehn Jahre, und immer noch verliere ich ihn jeden Tag aufs Neue." Das Urteil: "Ex Talk - Liebe live auf Sendung" erzählt humorvoll und liebenswert von den großen und kleinen Hürden des Erwachsenseins und einer unerwarteten Liebe. Dabei überrascht Rachel Lynn Solomon vor allem durch komplexe Charaktere, hintergründige Themen und die lebendige Darstellung des Radios. 4,5 von 5 Sterne!

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