Variemaa
Susa ist auf den ersten Blick ein einfacher Charakter. Stimmig, mit beiden Füßen auf dem Boden, nicht stürmisch, sondern Wissenschaftlerin. Ganz anders als ihre quirlige Mutter, die jede Verantwortung, jede feste Bindung immer wieder im Keim erstickt hat. Doch sie wankt leicht, diese feste Protagonistin. Bei ihrem Bruder, zu dem sie eine tiefe Verbindung spürt, bei ihrem Sohn, den sie mehr liebt, als sie es ertragen kann, bei ihrem Mann, hinter dem sie nicht zurückbleiben will. Im Grunde ist sie gefangen in der Zwickmühle jeder berufstätigen Mutter. Bin ich genug? Das wäre alles auch ohne fehlenden Vater Grund für einen Zusammenbruch. Susa droht am Alltag zu zerschellen, an den Vorstellungen, die sie von sich und ihrem Leben hat. Vor allem aber am Leben selbst, das immer wieder erstaunt und erschreckt. Verlust und Angst vor Verlust liegen direkt neben dem euphorischen Gefühl des Glücks. Im Grunde ist es diese Lebenspanik, die Susas Krise auslöst. Objekt der Selbstsuche wird der Vater. Was alles war beleuchtet eindringlich die Frage, wie Herkunft, Elternschaft und Identität zu bewerten sind. Wie sie in komplexen Verbindungen miteinander russisches Roulette spielen. Und obwohl Susa ihren Vater sucht, ist es ihre Mutter, vor der sie wegläuft. Alles, was Viola für Susa symbolisiert schleicht sich immer wieder an sie heran. Ist sie dieser Frau wirklich so unähnlich? Regelrecht komponiert ist diese Identitätskrise, die als Metapher für das sein kann, was jeder Frau entgegengestellt wird. Zwei Extreme, die es zu erfüllen gilt und die mit der ruhigen Adoptivmutter ihren zweiten Pol bekommen. Vielleicht wird unter diesem Gesichtspunkt auch der Titel programmatisch. Was alles war beeinflusst immer, was ist und darf doch kein Grund sein, den eigenen Weg zu finden. Über Jahre folgt der Roman Susa dabei, eine Familie aufzubauen und sich selbst immer wieder von dieser Figur zu entfremden, die sie am Anfang war. Identität ist nichts Festes, sie verändert sich. Diese Veränderung löst die Krise aus, denn Susas neues Ich wird ihr so fremd, dass der Roman zwischenzeitlich von der Ich-Erzählerin auf eine personale Form wechselt. Susas Geschichte ist im Grunde so alltäglich, dass es gerade dadurch wichtig ist, sie zu erzählen. Weil jede Mutter heute von der Gesellschaft zwischen Kind und Karriere hin und her geworfen wird – egal, was sie will und wie aktiv der Vater zu Hause ist. Immer noch ist es „normal“, dass Frauen ihre Karriere hinter der des Mannes zurücksetzen und die Hauptlast der Hausarbeit tragen. Und über allem droht das Damoklesschwert, nicht genug zu sein, was bei Susa mit der Verkörperung in Viola einerseits, aber auch der andren Frauen- und Mutterfiguren im Buch, demonstriert wird. In Was alles war geht es nicht um die Frage, was Familie ist und wie wir sie leben, sondern auch um die Rolle der Mutter darin, der Frau in einem Leben mit Mann, Kindern, Eltern und Beruf. Und das geht der Roman schonungslos und ehrlich an, voller Selbstlügen und Ängsten, dass Koppschütteln und trauriges Nicken ineinander übergehen. Ein so wichtiges Buch, in dem mehr schlummert, als der erste Blick verrät.