kingofmusic
Literarisches Kaleidoskop „Wenn du nicht mehr kannst, treffe keine Entscheidung.“ (S. 126) Ich lese selten ein Buch nach der Erstlektüre direkt ein zweites Mal. Nun, bei „Grand Mal“ von Daniel Breuer musste ich von dieser „Regel“ abweichen. Warum, versuche ich im Folgenden zu erläutern. „Grand Mal“ ist in meinen Augen kein „normaler“ Roman. Eher ein Kaleidoskop aus Witz, Wiederholungen, aufblitzenden lyrischen Zitaten. Und doch steckt hinter diesen scheinbar zusammengewürfelten Zeilen mehr, als der Text dem Leser oder der Leserin beim ersten „Durchlauf“ suggerieren will. Man verstehe mich hier bitte nicht falsch: Die Geschichte um Hugo Pfohlen, die drei Damen Irene, Maria und Nelly, die zusammen mit ihm ein Nagelstudio im neuen „Hip-Zentrum“ von Santiago de Chile eröffnen wollen und seinen Freund Dr. Eduardo Gorgani bietet (wahr- und höchstwahrscheinlich) auch schon beim „Erstkontakt“ genug Stoff, um es als großartig einzustufen. Jedoch bedarf es während der Lektüre unbedingt der Ruhe und keinerlei Ablenkung. Als Leser*in muss man konzentriert sein – sonst verpasst man Hinweise oder Wendungen, die erst später wieder aufgegriffen werden und man sich zwangsläufig fragt „Wo gehört das jetzt noch mal hin?“ Aber für Leserinnen und Leser, die gerne Romane mit Anspruch in die Hand nehmen, gibt es bestimmt „größere“ und schwierigere Herausforderungen *g*. Vielleicht symbolisiert das wilde, jedoch nicht minder geniale textliche Durcheinander auch die Epilepsie, die in Hugos Leben eine tragikomische Rolle spielt. Dieser Gedanke spukt schon eine ganze Weile in meinem Kopf herum :-). Wie es zu der ungewöhnlichen Idee kommt, ausgerechnet ein Nagelstudio zu eröffnen, was Hugo mit Irene, Maria und Nelly verbindet und ob der Plan aufgeht – nun, das verrate ich natürlich an dieser Stelle nicht. Ich will an dieser Stelle nur kurz ein längeres Zitat einfügen, dass in den Worten Daniel Breuer´s die Freundschaft zwischen Hugo und Eduardo so treffend beschreibt, dass ich mich da gar nicht mit eigenen Worten „einmischen“ will *g*: „Ihre Freundschaft war […] bereits in ihren Anfängen alles andere als eine sich anbahnende, erfreuliche Achterbahnfahrt gewesen. Keine sich um ihrer selbst willen emporschraubende Inspiration, vielmehr ein mühsames, unglaublich kräfteraubendes Vorankommen. Wie ein umgestürzter Wagon ohne Räder, den sie tagelang durch den knöchelhohen Sand drückten, an ihm zerrten oder zogen, je nachdem wer sich gerade an welcher Seite dieser Freundschaft befand. Ihn zwischendurch resigniert stehen ließen. Erschöpft, gleichgültig, sich selbst oder gleich seinem unausweichlichen Verfall überlassend. Dann ein neuerlicher Versuch, das rostende Monster doch noch mal um einige Zentimeter zu bewegen, vorwärts zu kommen. Etwas gegen den ewigen Stillstand zu unternehmen.“ (S. 82/83) Und auch jetzt (während des Verfassens dieser Rezension) finde ich beim Durchblättern durch die Seiten, Sätze und Formulierungen, die mich „kribbeln“ lassen, das Buch schon wieder zu lesen, dass übrigens mit Hilfe eines Arbeitsstipendiums der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa realisiert und (wie jede Veröffentlichung im VHV-Verlag) liebevoll und hochwertig gestaltet wurde. Zu beidem kann man Daniel Breuer nur herzlich gratulieren! Tja, und somit bleibt mir jetzt nichts Anderes übrig, als eine glasklare Leseempfehlung für „Grand Mal“ auszusprechen. 5*! ©kingofmusic