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Merle

Posted on 30.7.2021

Danke an Vorablesen und den Rowohlt Verlag, die mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben. Meine Meinung ist davon unabhängig. "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!" Diesen Satz kennen wir wahrscheinlich alle – auch die Protagonist*innen von „3 ½ Stunden“ leben in diesem Glauben. Aber dann, am 13. August 1961, macht sich ein Gerücht breit: es wird doch eine Mauer gebaut. Und wie wir als Leser*innen wissen, wird diese Mauer 28 Jahre lang Familie, Freunde und ein Land trennen. Unsere Protagonist*innen wissen das nicht; sie wissen nicht, was die Zukunft bringt. Sie wissen nur, dass sie jetzt noch dreieinhalb Stunden haben, um eine lebensverändernde Entscheidung zu treffen. Es sind verschiedene Personen(konstellationen), die an diesem Morgen im Zug von München nach Ost-Berlin sitzen. Alle müssen sie sich nun entscheiden, ob sie zurück in ihre Heimat, in die DDR, fahren – und eventuell nie wieder raus können – oder ob sie vor der Grenze aussteigen und ein neues Leben beginnen, nur mit dem Hab und Gut, dass sie aktuell dabeihaben. Die Idee hat mich wirklich fasziniert. Ich habe in der Schule viel über den Mauerbau und -fall gelernt, und wir haben uns viel mit Fluchten aus der DDR beschäftigt. Aber Gründe, um in der DDR zu bleiben, waren mir eigentlich unbekannt (außer natürlich, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt die Flucht zu gefährlich war). Dieses Buch gibt für beide Seiten gute Gründe, für die Rückkehr in die DDR, aber auch für das Bleiben in der BDR. Die Protagonist*innen sind sehr vielfältig: eine junge Spitzenturnerin und ihre Trainerin; ein Kommissar, dessen Ermittlungen an drei Mordfällen ihn zu dem Zug führen; eine Familie, bei der das Ehepaar unterschiedliche Tendenzen bezüglich der Entscheidung hat; ein homosexuelles Paar, eine Band, ein altes Ehepaar, eine junge Lokführerin… ich habe bestimmt wen vergessen; es sind wie gesagt sehr viele Charaktere. Und da sehe ich auch eine Schwachstelle des Buches: mit seinen 349 Seiten ist es in meinen Augen zu kurz, um der Fülle an Charakteren gerecht zu werden. Zu viele Perspektiven, zu viele Schicksale. Ich hätte mir mehr Fokus auf weniger Charaktere gewünscht, oder einfach mehr Seiten. Denn eigentlich sind schon alle Perspektiven sehr spannend, aber durch die Kürze sind mir manche Charaktere zu kurz gekommen. Besonders am Ende, in den entscheidenden Minuten an der letzten Haltestelle in Westdeutschland, geht es doch sehr schnell und ich habe nicht bei allen Personen verstanden, wer sich wofür und warum entschieden hat. Insgesamt hat mir das Buch aber doch neue Perspektiven auf die deutsche Vergangenheit gegeben, und ich kann das Buch allen empfehlen, die sich für die DDR-Geschichte interessieren. Den Film werde ich mir auch wahrscheinlich anschauen! Ich vergebe 3,5 Sterne (aufgerundet auf 4).

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