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franziskaschönbach

Posted on 19.10.2017

Luca di Fulvio nimmt uns mit nach Venedig im frühen 19. Jahrhundert. Wir lernen eine Fülle an einzigartigen, gut ausgearbeiteten Charakteren kennen. Einen jüdischen Betrüger und Arzt mit seiner Tochter, einen rachsüchtigen jüdischen Kaufmann, Straßenkinder, Soldaten oder einen fanatischen Mönch. Bereits in seinem Buch „Der Junge, der Träume schenkte“ begeisterte mich di Fulvio mit seinem Talent, Charaktere zu erschaffen, die ich so noch nie antraf. Charaktere, die so detailliert sind, dass ich jedes bisschen ihres Handeln glaube, mit einer Geschichte, guten und schlechten Erinnerungen und Taten, die alle Protagonisten zu dem machen, der sie im Moment der Geschichte sind. Dabei entwickeln sich alle, durch die Umstände der Geschichte, authentisch weiter. Wir haben Mercurio, der als Baby in der Klappe des Waisenhauses abgegeben wurde, keine Ahnung hat, wer Vater und Mutter sind. Er wächst im Dreck und Elend der Straßen von Rom auf, flüchtet vor einem Betrüger, der die Straßenkinder für sich arbeiten lässt, und lebt in der Gosse zusammen mit Raten. Gemeinsam mit Zolfo und Benedetta geht er auf Steifzüge der Betrügereien, um an Geld und Essen zu kommen. Nach einem einschlägigen Erlebnis mit einem jüdischen Kaufmann flüchten die Drei nach Venedig, wo sich ihre Wege schnell trennen. Jeder entwickelt sich auf seine einzigartige Art weiter, bis sie irgendwann erneut aufeinandertreffen. Mercurio, der versucht aus der Welt des Betrügens zu entfliehen und für die Freiheit kämpft. Vor allem für die Freiheit von Giuditta. Jüdin und Tochter eines Betrügers und scheinbar Arztes, die gleichzeitig mit den Dreien in Venedig ankommen. Einer Stadt, in der sie zunächst glauben, ihr Glück zu finden und dann Abend für Abend eingesperrt werden, weil sie Juden sind und die Leute abergläubisch sind und Angst haben vor dem Unbekannten. Dennoch versuchen sie weiter zu kämpfen, aus dem Betrüger wird ein anerkannter Arzt, in bestimmten Kreisen. Giuditta eine bekannte Modedesignerin, von deren Kleidern selbst die Reichen begeistert sind. Und die sich in Mercurio verliebt, der jedoch Christ ist. Geschickt spinnt di Fulvio die verschiedensten Handlungsstränge zusammen, dabei vereint sich nicht nur das Leben von Mercurio und Giuditta. Auch das von Benedetta und Zolfo läuft irgendwann wieder mit deren Schicksal zusammen, ebenso wie der Strang von Shimon, dem Kaufmann, den die Drei in Rom überfielen. Allerdings hat genau dieser Strang das Buch für mich auch unnötig in die Länge gezogen. Shimon hatte keine andere Rolle, als sich vom Hass geblendet auf den Weg von Rom nach Venedig zu machen, um sich an Mercurio zu rächen. Blieb dabei aber ihm Vergleich eher nebensächlich, auch wenn sein Handeln am Schluss noch etwas Nervenkitzel brachte. Dennoch konnte mich di Fulvio mit seinem malerischen, eingehenden Schreibstil beeindrucken. Er schreibt so anschaulich, dass ich den Gestank des damaligen Venedigs richtig wahrnehmen konnte. Aber auch die schönen Seiten der Stadt. Er erschuf eine Geschichte voller Hass, Liebe und dem Kampf gegen Unbekanntes, für Freiheit und den eigenen Glauben. Eingebettet in einen historischen Kontext zu Zeiten, als der Hass auf die Juden und vor dem Unbekannten immer größer wurde. Zu Zeiten, als die Leute an Hexen glaubten, Zeiten inmitten des Kampfes Staat gegen Kirche. Voller Krankheiten und Elend aber eben auch Hoffnung. Ein Buch, das alle Facetten des damaligen Lebens zeigt, ungeschönt, brutal und ehrlich. Arm gegen Reich, Christen gegen Juden und dann diese wundervollen Momente, in dem dies alles egal ist, und einfach nur Menschen mit Menschen interagieren und für ihre Zukunft kämpfen. So sehr das Buch auch in der Vergangenheit spielt, ist es doch aktueller denn je. Denn Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung sind leider noch immer überall gegenwärtig. So ist di Fulvios Appell an Liebe, Familie, Freundschaft und Zusammenhalt etwas, dass sich jeder zu Herzen nehmen sollte.

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