silkestuecker
„Ich wünschte mir, jede Autorin, die fiktional über Sexarbeit schreibt, würde sich ein großes Beispiel an Anna Baseners Arbeit nehmen: Ihre Figuren besitzen Tiefe, sind zwiespältig, entwickeln sich. Die tiefgehende Hintergrundrecherche setzt vorurteilsfrei den Rahmen für eine spannende und tiefsinnige Geschichte“ Zitat der Hörspielfassung vom Berufsverband Sexarbeit Quelle: https://www.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2019/06/03/die-juten-sitten-goldene-zwanziger-dreckige-wahrheiten-eine-rezension/ Dieses Buch habe ich durch eine Wanderrunde zum Lesen bekommen und wäre so gar nicht mein Beuteschema gewesen. Während dem Lesen merkte ich dann auch, dass es ein Buch außerhalb meiner Komfortzone ist. Das Buch wird erzählt aus der Sicht von Hedi 1953 . Sie sitzt nach einem Mord im Gefängnis. Ihre Beweggründe will sie nicht nennen, bis Noah ein Journalist sie besucht und ihr Rosen und zweierlei Reinigunsmittel mitbringt. Dieses sogenannte „Frühstückselexier“ hat sie im Bordell „Die Ritze“ in der Mulackstrasse in Berlin kennengelernt, von niemand geringerem als Anita Berber, und zwar als 8 jährigen, denn sie ist von Ihrer Großmutter in dem Bordell großgezogen worden. In wechselnden Zeitsträngen, erfährt man beim Lesen mehr über Hedis Leben als 8 jährige in dem schonungslosen Geschäft der gekauften Liebe. Die Sprache ist von rotzige über vulgär in Berliner Dialekt und man fühlt sich beim Lesen mittendrin und wird nicht geschont. Das Hörspiel was es dem Buch voranging und Audible erschienen ist, hatte zu Recht die FSK 18. Wäre für das Buch auch empfehlenswert. Es geht um Umgang mit Gewalt, Drogen, Kuroption, das Leben von Hedi ist alles andere als wohlbehütet, oder vielleicht doch, denn Polizei und Jugendfürsorge finden die Ritze alles andere als den geeigneten Ort um ein Kind großzuziehen. Wäre das Kinderheim eine bessere Alternative? Beeindruckend fand ich in dem Buche die vielen reelen Bezüge der 20er Jahre in Berlin, sei es die Legalisierung des Berufes, oder eben die authentischen Personen wie Anita Berber, Magnus Hirschfeld die in die Geschichte eingewoben werden und die Geschichte greifbarer machen und die Huren mit ihren Schicksalen menschlicher. Wie bei einem Krimi steuert die Geschichte dann der großen Frage entgehen, WEN hat Hedi umgebracht und WARUM? Viele kleine Hinweise findet man beim Lesen aber die Auflösung gibt es in einem kurzen knappen Absatz, wo die Tat beschrieben wird. DAS war mir ehrlich zu knapp, denn für mich hat sich durch die Auflösung eine noch größere Frage ergeben, nämlich ob es das wert war, dafür im Knast zu gehen und auf die Todesstrafe zu warten. Aber solche Fragen darf sich jeder selber stellen und beantworten. .Moralische Zeigefinger findet man in dem Buch nicht.