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franziskaschönbach

Posted on 19.10.2017

John Boyne, ein Autor, der mich auch nach dem es eine Weile her ist, noch immer mit „Der Junge im gestreiften Pyjama“ beeindruckt, der mich zum Weinen brachte und es versteht, die unfassbaren Gräueltaten aus dem Zweiten Weltkrieg naiv und unschuldig aus der Sicht eines Kindes zu beschreiben. Er nimmt uns mit „Der Junge auf dem Berg“ erneut mit in die damalige Zeit, auch aus der Sicht eines, zunächst unschuldigen, naiven, Kindes, dass die Zusammenhänge überhaupt nicht sehen und verstehen kann. Er nimmt uns wieder mit zurück in eine Zeit, von der wir fest geglaubt haben, sowas in die Richtung wird es nie wieder geben, nie wieder wird die Menschheit so dumm sein, so grauenhaft, so widerlich! Doch, wie er selbst in einem Vorwort schreibt – in den letzten Monaten ist es erschreckend, welche Dinge und Aussagen doch wieder in den Medien und in unserer Umgebung umhergehen. Umso wichtiger ist es, dass Autoren wie Boyne dieses Thema unseren Jugendlichen, die immer weiter von der damaligen Generation weg sind, näher zu bringen versuchen. Und das vorweg – ich denke, dass er dies mit „Der Junge auf dem Berg“ gut schafft. Er zeigt, wie schnell Macht einen ausfressen kann. Ein bisschen Anerkennung hier von den falschen Menschen, aufmunternde Worte da, fehlendes Hintergrundwissen in jungen Jahren, in denen man Zusammenhänge noch gar nicht richtig begreift und sich einfach nur freut, wenn man jemanden hat, der einen auch mal lobt. Gehirnwäsche vom feinsten und so schnell glaubt mans nicht und man redet diesen ganze verkackten Blödsinn nach. Gerade Kinder lassen sich so einfach beeinflussen und man kann nie früh genug mit der Aufklärung anfangen. Von daher, Hut ab vor seinem neuestem Werk, dass sich bestimmt hervorragend als Schullektüre eignet und auch junge Leser, die keine großen Leseratten sind, vermutlich nicht überfordern wird. Aber, wie gefiel es mir nun? Nun, zunächst hatte es Boyne schwer, mich noch einmal so sehr beeindrucken zu können. Dennoch habe ich mich schon auf die Geschichte rund um Pierrot später Peter, dem Jungen auf dem Berg, gefreut. Er wird in Frankreich geboren und verbringt dort die ersten paar Jahre seiner Kindheit. Der Vater diente im Ersten Weltkrieg, überlebte, aber ist dennoch gestorben. Ein Säufer, der schon bald abhaut und vor einen Zug kommt. Seine Mutter, eine liebevoll gezeichnete Protagonistin. Auch sie stirbt, als er noch klein ist. Anshel, ein liebenswerter kleiner Junge, der sein bester Freund ist. Er wohnt direkt unter ihm, gemeinsam unterhalten sie sich mit Zeichensprache, einer ist der Fuchs, der andere der Hund. Anshel, der immer für Pierrot da ist und ihm hilft, Geschichten aufzuschreiben. Und der Jude ist. Und deshalb später die ganze Freundschaft auf dem Spiel steht. Beide wissen nicht, was die kommenden Jahre für sie bereit halten werden. Die Freundschaft, die schon bald, wegen der Trennung der beiden, zu zerbrechen droht. Pierrot landet nach dem Tod seiner Eltern zunächst in einem Waisenhaus. Er hat niemanden mehr. „Nein, es gibt niemanden. Nur mich. Jetzt bin ich ganz alleine.“ (S. 44) Bis ihn seine Tante Beatrix zu sich holt. Auf den Berg. Genauer – den Berghof, Hitlers Sommerhaus, in dem Sie Haushälterin ist. Wir erleben, wie schnell Pierrot zu Peter wird. Einem typischen Deutschen, nach damaliger Definition. Nach Hitler-Definition. Wir erleben, wie schnell und einfach sich ein naives, einsames Kind einer Gehirnwäsche unterziehen lässt, ohne es groß zu merken. Er erkennt in Hitler seinen Vater wieder, will diesen stolz machen, bekommt Anerkennung und fühlt sich endlich einmal mächtig, nachdem er immer schon wegen seiner geringen Körpergröße gehänselt wurde. Und ist schnell zu allem bereit, sogar Verrat, um Hitler seine Treue zu beweisen. „Je lauter er schlug, desto lauter jubelten die Menschen und rissen die Arme in die Luft, alle gleichzeitig, als wären sie ein einziges Wesen, das von einem einzigen Kopf gesteuert wurde, und riefen: ‚Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!‘ Pierrot saß in ihrer Mitte, und seine Stimme war genauso laut wie die aller anderen, seine Begeisterung genauso groß, sein Glaube genauso stark.“ (S. 226) Erschreckend und doch so wahrscheinlich. Vom Realitätsfaktor daher volle Punktzahl. Und doch konnte mich Boyne dieses Mal nicht ganz einfangen und überzeugen. Pierrot war ok, Peter blieb mir völlig fremd. Gut, verständlich, wenn man bedenkt, zu welch ekelhaften Menschen er sich entwickelt. Insgesamt hat die Geschichte einfach viel zu wenig Raum, hätte so viel mehr Potenzial. Die Botschaft, wie gefährlich Macht ist, die falschen Worte in den falschen Köpfen. Die Botschaft, dass man nie schuldfrei ist. Nie! Wenn man zusah, wenn man teilweise, wenn auch unbewusst, unterstütze. Dass man nie Glauben sollte, man hätte nichts damit zu tun gehabt, auch wenn man nicht selbst zur Waffe griff. Das nichts tun eben auch furchtbar ist. Auch, wenn vermutlich viele von uns nichts tun würden. Wenn man erst mal Angst um sein Leben und das seiner Liebsten hat, weiß man schließlich nie, wie man handeln würde und ob man handeln würde. Diese beeindruckt mich. Oder ist Pierrot doch unschuldig, schließlich war er ein Kind? Über diese Frage lässt uns Boyne ausgiebig nachgrübeln. Ich bin zu dem Schluss gekommen, bis zu einem gewissen Zeitpunkt, ja, er ist unschuldig, er wusste es nicht anders, hat niemanden, der ihm etwas anders Vorleben kann, will seinen toten Vater stolz machen. Doch später, da sieht es anders aus, er wird älter und sollte in der Lage sein, Aussagen und Geschehnisse zu hinterfragen. Denn am Ende ist er bereits 16 Jahre alt. Alt genug wie ich finde, um nicht jeden Müll zu glauben und auch mal sein eigenes Hirn anzustrengen. Doch die Geschichte war zu kurz, die Zeitsprünge zu groß, die Entwicklungen und Veränderungen von Pierrot zu plötzlich und dadurch oft schwer nachvollziehbar. Das Ende zu schnell, zu kurz abgehandelt. Ich habe mich insgesamt leider etwas distanziert und zu schnell durch die Geschichte durchgeprügelt gefühlt und bleibe mit einem recht leeren Gefühlt zurück. Mit der Frage, wo denn nun der ganze Rest der Geschichte steckt? Auch der Stil packte mich nicht, war sehr kühl, schmucklos und distanziert, auch wenn es vermutlich absichtlich so war und irgendwie auch Peter widerspiegelt, war es für mich nicht das Richtige. Von daher ein Buch, das eine wichtige Botschaft trägt, mich aber leider nicht ganz abholen konnte. Dennoch erachte ich es als wichtig, dass diese Botschaft, dieses Wachrütteln, sich verbreitet. Deswegen, lest das Buch und schaut, ob ihr es nicht besser findet. Denn, auch wenn es mich von Umsetzung und Schreibe her nicht abholte, ist und bleibt das, was Boyne transportieren will, extrem wichtig und sollte niemals, niemals unterschätzt werden!

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