naraya
Das Süßgras, nach seinem Duft auch Vanillegras genannt, gehört zu den wichtigsten Kulturpflanzen der indigenen Völker Nordamerikas. Ihm widmet Robin Wall Kimmerer nun ihr neustes, in deutscher Sprache erschienenes Buch. Darin vereint sie indigene Weisheit mit Wissenschaft und spiegelt damit auch ihre eigene Person wider, denn die Autorin ist Botanikerin und Mitglied der Citizen Potawatomi Nation. Am eigenen Leib erfährt sie den Widerspruch zwischen der Wissenschaft, die nur an rein objektiven Feststellungen interessiert ist und dem indigenen Verständnis, welche Pflanzen eine höhere und vor allem auch emotionale Bedeutung beimisst. Die Struktur des Buches folgt den verschiedenen Stadien des Süßgrasanbaus, vom Pflanzen, über das Hegen und Pflücken bis zum Ernten und Verbrennen. Jeden Schritt verbindet die Autorin dabei mit passenden Geschichten aus der indigenen Kultur, mit biologischen Betrachtungen über bestimmte Arten und die Umwelt im Allgemeinen, aber auch mit ihrer persönlichen Biografie. So beschreibt sie beispielsweise ihre Gedanken zum Muttersein oder den eigenen Weg zurück zu ihren indigenen Wurzeln, auf dem es ihr auch gelingt, den Blickwinkel ihrer Studierenden zu verändern. In „Geflochtenes Süßgras“ geht es jedoch um weitaus mehr, als die namensgebende Pflanze. Es ist vor allem ein Wegweiser über den richtigen Umgang mit der Natur, bei vielen indigenen Völkern das „Prinzip der Ehrenhaften Ernte“ genannt. Dieses besagt, vor der Ernte um Erlaubnis zu fragen, dankbar zu sein, nur so viel zu nehmen, wie man braucht und nie mehr als die Hälfte. Darüber hinaus nicht die erste Pflanze zu nehmen, die man sieht (es könnte ja die letzte sein) und demzufolge auch nicht die letzte. Ernten, ohne Schaden anzurichten, etwas an die Natur zurückgeben und vor allem: Teilen – Prinzipien, die wir heute wohl mit dem Wort „Nachhaltigkeit“ zusammenfassen würden. Dementsprechend beginnt und endet die indigene Schulwoche auch nicht mit dem „Pledge of Allegiance“, sondern dem „Thanksgiving Address“, einer traditionellen Danksagung der Onondaga. Das letzte Kapitel widmet sich dem „Verbrennen“ und somit der Zerstörung der Natur, verkörpert durch den Windigo, einen rachsüchtigen Geist, der von Menschen Besitz ergreift und sie zu Kannibalen macht. Ein erschreckend passendes Sinnbild auch für die „Umsiedlungspolitik“ der USA, die die indigenen Völker von dem Land vertrieb, auf dem sie schon immer gelebt hatten und ihre Kinder zur Umerziehung in Internate schickte. Es ist nicht vorstellbar, wie viel Wissen, wie viel Kultur und wie viele Sprachen bereits verloren gegangen sind und weiterhin verloren gehen. Fazit: Ein wichtiges Buch, in dem Robin Wall Kimmerer ihre Geschichten wie Süßgras zu einem Zopf flechtet, bei dem mir aber manchmal der Bezug der einzelnen Kapitel zueinander fehlt