auserlesenes
Der Künstlerin Eve Laing (61) hat es die Natur angetan. Vor allem Blumen tauchen immer wieder in ihren Werken auf. Doch anders als bei früheren Weggefährten blieb ihr der große Ruhm verwehrt. Ihre Ehe mit dem zehn Jahre älteren Stararchitekten Kristof Axness, aus der ihre Tochter Nancy hervorgegangen ist, erfüllt Eve zudem schon seit Längerem nicht mehr. Deshalb will es die Künstlerin nun wissen: Sie bereitet eine große Retrospektive in London vor. Sie ahnt nicht, dass sie auf eine Katastrophe zusteuert... „Blütenschatten“ ist ein Roman von Annalena McAfee. Meine Meinung: Der Roman besteht aus 30 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Es gibt zwei Erzählebenen: Zum einen streifen wir im gegenwärtigen Strang mit Eve durch die Straßen von London, zum anderen halten wir mit ihr eine Rückschau auf ihr Leben, wobei die jüngere Vergangenheit dominiert. Erzählt wird somit einerseits im Präsens und andererseits im Präteritum, jeweils aus der Sicht von Eve. Beide Ebenen sind sehr gekonnt verknüpft. Dass sie vortrefflich mit Sprache umgehen kann, stellt die Autorin immer wieder unter Beweis. Zwar ist der Roman aufgrund seiner komplexen Syntax, vieler Fachtermini sowie Referenzen zu Kunstwerken und Künstlern nicht leicht lesbar. Das lässt den Schreibstil zunächst etwas prätentiös wirken. Allerdings gibt es immer wieder auch starke Sprachbilder, spitzzüngige Bemerkungen und scharfsinnige Formulierungen, nicht selten garniert mit zynischem Humor, zu entdecken. Mit Eve steht eine schwierige Protagonistin im Vordergrund. Sie ist verbittert, rachsüchtig, gehässig, egoistisch und eitel, was sie interessant, aber nicht gerade sympathisch erscheinen lässt. Man kann ihr zugute halten, dass sie durchaus auch selbstkritisch ist und viel reflektiert. Auch die weiteren Charaktere sind für mich keine Sympathieträger, machen aber ebenfalls einen lebensnahen Eindruck. Inhaltlich hat mich der Roman zu Beginn nicht fesseln können, da die ausführliche Darstellung der Kunst viel Raum in der Geschichte einnimmt. Im weiteren Verlauf des Romans erschließt sich das jedoch und hat mich immer weniger gestört. Mehr noch. Die Persiflage auf die Kunstszene und ihre Auswüchse, die das Buch durchzieht, konnte mich amüsieren und begeistern. In diesem Punkt zeigt sich die fundierte Sachkenntnis der Autorin. Affären, Konkurrenzkampf, Betrug und weitere menschliche Abgründe sind weitere Zutaten der Geschichte. Sehr gerne gelesen habe ich auch den Streifzug Eves durchs nächtliche London, der mir die Stadt näher gebracht hat. Die Geschichte beginnt in einem ruhigen Tempo und ist zunächst sogar ein wenig langatmig. Das ändert sich jedoch bald, weil sich abzeichnet, dass Eves Leben eine dramatische Wendung genommen hat. Die Spannung wächst stetig. Der Roman entwickelt einen zunehmenden Lesesog und endet schließlich mit einem fulminanten Finale, das mich überraschen konnte und trotz aller Tragik sowohl absolut schlüssig als auch stimmig ist. Das reduzierte und verlagstypische Cover mit dem Frauenporträt passt vortrefflich zum Inhalt. Der deutsche Titel weicht zwar vom Original („Nightshade“) ab, ist aber ebenso eine gute Wahl. Mein Fazit: Mit „Blütenschatten“ hat mich Annalena McAfee in mehrfacher Hinsicht überzeugt. Ein durchweg empfehlenswerter Roman und ein Lesehighlight 2021.