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Christina Bleser

Posted on 21.7.2021

Stell Dir vor, Du wirst aus der Welt, die Du kennst, herausgerissen und musst von heute auf morgen in einer Dir völlig fremden Welt leben. Stell Dir vor, alle Gesetze und Gesetzmäßigkeiten, die Du seit Deiner Geburt kanntest – die Dimensionen von Raum und Zeit, die Regeln des Anstands und der Höflichkeit, die Echtheit von Wahrnehmungen und Worten – gelten nicht mehr. Stell Dir vor, Du hast niemanden um Dich herum, dem Du vertrauen kannst und darfst Deine besonderen Gaben, die Dich immer beschützt und begleitet haben, nicht mehr einsetzen. Würdest Du kämpfen, um zu leben? Das phantastische Debüt von Christelle Dabos spielt in einer zukünftigen Welt, in der die Erde, wie wir sie kennen, zerstört wurde. Die Menschen leben auf Archen, die getrennt von einander existieren und sich nur sehr selten austauschen. Die schüchterne Ophelia lebt auf einer dieser Welten mit Namen Anima, zurückgezogen und mit sich selbst zufrieden. Bis ihre Familie beschließt, Ophelia mit einem wildfremden Mann am Nordpol zu verheiraten, einer Arche, deren Gesetze sich kaum mehr von Anima unterscheiden könnten und deren Bewohner Ophelia feindlich gesinnt sind. Christelle Dabos ist es gelungen, mit den beiden Archen zwei ganz unterschiedliche Welten zu schaffen, die für sich schon jede interessant sind. Während Anima sehr auf die Vergangenheit bedacht ist und Museen und Bibliotheken errichtet, um das Alte zu erhalten, wurde am Nordpol die Himmelsburg geschaffen, die die Gesetze von Raum und Zeit hinter sich lässt und eine Welt voller Prunk kreiert, in der nichts so ist, wie es scheint. Während das Leben auf Anima eher zukünftig anmutet, erinnert das auf dem Nordpol an die Zeit der Renaissance. Auf ihre je eigene Weise verbinden somit beide Welten Vergangenheit und Zukunft in sich. Der Schreibstil und die Perspektive Ophelias ziehen Leser schnell in die Geschichte und lassen sie mit der sensiblen Hauptperson mitfühlen, die sich in der auswegslosen Situation sieht, in einer Welt gelandet zu sein, in der die meisten Bewohner ihr nach dem Leben trachten.

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