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Buchdoktor

Posted on 18.7.2021

Als Alex Stamos 2014 seinen Posten als Sicherheits-Chef bei Facebook antrat, legte er zügig den Finger in die Wunde. Wenn in kurzer Zeit 50 FB-Mitarbeiter entlassen werden, weil sie sich zu privaten Zwecken an privaten Nutzer-Daten bedienten, wie viele Mitarbeiter könnten zur gleichen Zeit ungeschoren davongekommen sein? Stamos sieht nicht ein, warum alle 16 000 FB-Mitarbeiter ungeprüft Zugriffsrechte auf Nutzerdaten haben. Es gibt im Unternehmen bis dahin keinen Verantwortlichen für Datensicherheit und die Mitarbeiter wissen, dass sie bei ihren Vorgesetzten auf taube Ohren stoßen werden, wenn sie das Thema ansprechen. Mit seiner Kritik hat Stamos zugleich das Problem der nichtexistierenden Kommunikation bei FB aus dem Schrank gezerrt. Marc Zuckerberg sieht sich als reinen Entwickler, der sich weder für Betriebswirtschaft noch für Jura interessiert und erst recht kein Interesse an Unternehmensethik verspürt. Er möchte mit Nicht-IT-Themen nicht behelligt werden, reagiert jedoch sehr ungehalten gegenüber seinen Mitarbeitern, wenn ein weiterer Facebook-Skandal die Schlagzeilen füllt und er womöglich vor einen Untersuchungsausschuss zitiert wird. Nichts sehen, nichts hören und einen Schuldigen opfern, scheint seine Devise zu sein. Zuckerbergs Co-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg konnte in ein weiß, männlich und nicht-divers aufgestelltes Unternehmen offensichtlich ein zu geringes Gegengewicht einbringen. Facebook hat es seit seiner Gründung gerade mal auf eine Steigerung des Anteils nicht-weißer Mitarbeiter von 2 auf knapp 4% gebracht. Frenkel und Kang schildern einen jungen Firmengründer aus wohlhabendem Elternhaus, an einer Eliteuniversität sozialisiert, dessen Weltbild sich auf die weiße Oberschicht beschränkt. Dass es andere Kulturen, Religionen und Ethnien gibt und die Hälfte der Weltbevölkerung weiblich ist, darauf müssen seine Mitarbeiter Zuckerberg stets erst hinweisen. Die Forderung nach Datenschutz und Maßnahmen gegen Hass-Postings als Clickbait wird von Zuckerberg folgerichtig damit abgeschmettert, dass Meinungsfreiheit für ihn und FB ein hohes Gut wäre und die „gute“ Wahrheit sich von allein durchsetzen wird, wenn Meinungsfreiheit herrscht. Sein Denkfehler: Hassbotschaften und Terrorismus sind keine Meinung. Schließlich sehen Zuckerberg und Sandberg sich nach einer Reihe von Skandalen und durch die noch immer mangelhafte Kommunikation im Unternehmen vor dem Problem, dass zunehmend kompetente Mitarbeiter FB verlassen, weil sie sich nicht länger schämen wollen, in einem Skandalunternehmen zu arbeiten. Nach der Hälfte des Buches hatte ich den Eindruck, dass ich zwar ausführlich aus journalistischer Sicht über die „Köpfe“ bei Facebook (Zuckerberg und Sandberg) und ihre persönlichen Defizite gelesen hatte, jedoch wenig über Justiz, Politik und gesellschaftliche Strukturen, die diese Köpfe hervorbringen und unkontrolliert agieren lassen. Wichtiger als Fehler aufzulisten, wäre eine Analyse, ob amerikanische Politiker aus dem Debakel gelernt haben und wie privat finanzierte amerikanische Kaderschmieden diverser werden können. Die zweite Hälfte, in der u. a. Datenschutz-Aktivisten und FB-Kritiker zu Wort kommen, hätte m. A. ausfühlicher sein dürfen. Das Buch ist - laut Datum der Quellen - auf dem Stand von Januar 2021. Es geht um nicht weniger als die FB-Skandale Cambridge Analytica, den Diebstahl von Mails der Demokratischen Partei durch russische Hacker, die Verantwortung für die Stürmung des Capitols im Januar 2021, Beeinflussung der Präsidentenwahl und die Verbreitung von Hass-Meldungen gegen die Rohingya in Myanmar. Sheera Frenkel und Cecilia Kang führten für ihr Psychogramm eines einstigen Start-Ups, das ungezügelt zum weltweiten Konzern wuchs, rund 1000 Interviews mit Angestellten, Politikern und Datenschutz-Aktivisten und werteten 15 Jahre Presse-Berichterstattung über Facebook aus. Ihre Kernthemen sind nicht neu. Die Journalistinnen konnten jedoch diverse Informationen, die aus dem Unternehmen nach außen drangen, durch Bestätigung ihrer Interviewpartner verifizieren. Auch wenn der grobe zeitliche Ablauf des Geschilderten bekannt ist, kann man aus ihrer verdichteten Zusammenstellung viel über Hierarchien und Unternehmenskultur lernen - und die Folgen für uns alle, wenn Zuckerbergs eigene Generation sich ausschließlich auf Facebook informiert.

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