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gwyn

Posted on 16.7.2021

Anton Wassermann lädt zu seiner Geburtstagsfeier ein. Nach und nach kommen seine Gäste, allerdings haben alle einen Koffer dabei, wollen bei Anton einziehen. Rudi Eisbär ist wohnungslos, seine Wohnung ist geschmolzen «weil es auf der Erde wärmer wird». Den Orang-Utans geht es nicht besser, die Bäume, auf denen sie leben, wurden abholzt für Ackerflächen. Die Robben und der Fisch können nicht zurück, weil das Meer voller Plastik ist. Nun springen wir zu Mimi, die sich umziehen will, weil sie bereits seit einer Stunde das gleiche Kleid trägt. Vor dem Schrank stehend kann sie sich in der Masse des Überangebots an Kleidern nicht entscheiden. Und ganz plötzlich, völlig unreflektiert, entscheidet sie, dass es überflüssig sei, so viel Kleidung zu besitzen. Eine urplötzliche Wandlung konnte ich nicht nachvollziehen. Nun kommt Hubert Fuchs mit qualmendem Sportauto angefahren. Er verlangt nach Erdbeerkuchen, den es bei Anton nicht gibt, weil sie keine Saison haben. Und Anton erklärt, dass es eine Verschwendung sei, Erdbeeren aus fernen Ländern zu holen, wenn man Apfelkuchen essen kann. Verschwendung von was? Nun stellen die Gäste fest: Es gibt gar keine Insekten mehr und sie freuen sich an der prallen Sonne. Allerdings ist deshalb die Wiese ausgedörrt, darum gibt es keine Bienen mehr, somit keinen Honig und die Bienen können keine Pflanzen bestäuben. Das Buch ist sicher aus herzlichem Ansporn heraus entstanden – schon auf dem Cover leuchtet «Umweltbuch» hervor. Hier wird Seite für Seite ein Problem angesprochen, alles in einen Topf geworfen – nichts ist auserzählt. Jedes Thema ist ein Buch für sich wert. Leider wird der pädagogische Zeigefinger vom oben herab gewaltig gewackelt. Was macht für mich ein gutes Kinderbuch aus? Zunächst sollte das Thema zu bewältigen sein – Hintergrundwissen eingeflochten werden und Lösungsansätze anbieten. Es gibt eine Menge guter Sachbilderbücher zum Thema Umwelt, die einen Konflikt mit Ursache und Wirkung erklären. Natürlich kann man jedes dieser einzelnen Themen auch in eine Geschichte verpacken – aber die hat das gleiche Ziel, nämlich erzählerisch Ursache und Wirkung mit Lösungsangebot anzubieten. Dabei muss man ganz gewaltig aufpassen, nicht mit dem Zeigefinger daherzukommen. Dieses Kinderbuch, so gut es gemeint ist, kommt mir vor wie Skatspiel, bei dem mir im Vorfeld nicht Regeln erklärt wurden. Man drischt eine Karte nach der anderen auf den Tisch. Gut, dem Eisbären ist die Wohnung weggeschmolzen. Nächste Seite. Es ist nicht die Aufgabe der Eltern oder der Erzieher, an diesem Punkt «Stopp!», zu sagen. Nun muss ich dir erst mal erklären, warum dem Eisbären die Wohnung weggeschmolzen ist. Wobei diese Erklärung nun ziemlich lang ist, da man weit ausholen muss. Die Geschichte geht weiter, und da wird es kritisch: Warum wird es wärmer, wird gefragt. Das hat viele Gründe. Ja welche den? Einer wird benannt: Weil die Bäume abgeholzt werden. Wenn es denn so einfach wäre! Die Geburtstagsgesellschaft berät nun und geht in die Stadt – das Bild zeigt qualmende Fabrikschlote, die Feuer spucken. Wo gibt es so etwas? Stellt man sich so eine Stadt vor? Anton erzählt den Städtern von den Erdbeeren, dem Orang-Utan, dem Eisbären, dem Fisch und sie sehen ein, dass wir besser auf die Welt aufpassen müssen. Anton erklärt, dass man viel zu Fuß gehen soll, mit dem Fahrrad fahren, die Städte um einen herum besuchen soll, statt so weit zu fahren. Die Menschen sollen Bäume und Blumen pflanzen. Und da ist er wieder, der drohende Zeigefinger. Kommen wir zurück auf die ersten Seiten: Was haben die Bäume in unserem Garten mit den Orang-Utans zu tun, mit dem Plastik im Meer, mit dem Überangebot von Dingen? Gar nichts! Hier wird eine Wirkung erklärt, aber die Ursache dafür und ein Lösungsangebot kommen im Buch nicht vor. Hier werden diverse globale Probleme angesprochen mit ziemlich vielen Unterthemen, die alle breit gefächert zusammenhängen. Das ist nicht einmal jedem Erwachsenen bewusst. Kausalitäten werden nicht aufgezeigt. Es werden auch Birnen und Kirschen in den Apfelkuchen geworfen. Es gibt auf der Welt eine Menge Schieflagen, richtig – aber man muss sie auch erklären, wenn man sie Kindern nahe bringen will. Es schwimmt Plastik im Meer. Gut, was hat das mit mir zu tun, ich schmeiße keines hinein. Nicht direkt ... es braucht etwas Zeit, die Kette zu erklären, wie unser Plastik ins Meer gelangt. Welchen Sinn hat es, einem Kind am Ende eines Bilderbuchs zu sagen, was tun und lassen soll, ohne dass es den Sinn versteht. Richtig wäre sowieso, den erhobenen Zeigefinger wegzulassen, weil die Geschichte selbst ein Verständnis auslöst, ohne, dass wir dazu den Zeigefinger benötigen. Der Verlag zum Buch: «Denn wie erklärt man Phänomene wie CO2-Ausstoß oder Klimawandel 4-7-jährigen?» – aber erklärt, wird für mich hier leider nichts. Das allererste Gebot für ein erzählendes Kindersachbuch: Kinder benötigen Hilfestellungen, um sich etwas vorstellen zu können! Die Illustrationen von Gisela Cölle sind im naiven Stil mit Tempera gemalt, sehr farbenfroh und ansprechend. Sie haben mir gefallen. Die Autorin möchte mit diesem Bilderbuch etwas bewirken, ein Nachdenken, ein Umdenken, wie wir mit den Ressourcen dieser Welt umgehen, was wir selbst dazu tun können, um die Welt zu Besserem zu verändern. Und das ist gut. Aber gut gemeint reicht mir leider als Kinderbuch nicht. Es muss verständlich verpackt sein. Dieses Buch überfordert Kinder inhaltlich – wahrscheinlich auch den ein oder anderen Erwachsenen, der Ursachen erklären soll und Lösungsmöglichkeiten anbieten soll. Auch die Altersempfehlung vom Leinpfad Verlag kann ich so nicht stehen lassen: 4 – 7 Jahre. Ein*e Kinderbuchautor*in richtet sich an Kindergartenkinder, Leseanfänger oder an fortgeschrittene Grundschüler, also 2 - 5, 6 - 7 oder 8 - 10 Jahre, bei Sachbüchern kann ein Buch übergreifend sein. Schaue ich mir dieses Bilderbuch an, so sehe ich bei der Illustrierung eher Kindergartenkinder angesprochen. Das Textvolumen ist auf mindestens auf 6 Jahre ausgelegt und die Satzlänge entspricht in manchen Abschnitten der Gruppe 8 – 10 Jahre. Im Großen und Ganzen lässt mich das Bilderbuch leider ratlos zurück. Gisela Cölle wurde in Zweibrücken geboren. An der Fachhochschule für Kunst und Gestaltung in Hamburg absolvierte sie Kurse für Bildgeschichten und Comic. Sie erhielt zahlreiche Preise und veröffentlichte vier Bilderbücher. Nach dem Medizinstudium in Mainz war sie ab 1980 für 37 Jahre als Hausärztin in Mainz-Mombach niedergelassen. Gisela Cölle hat drei Kinder und acht Enkelkinder. «Anton Wassermanns Geburtstag» stand auf der Empfehlungsliste des Kinder- und Jugendbuchpreis «Silberne Feder» des Deutschen Ärztinnenbundes e.V. (DÄB).

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