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thrillerleser

Posted on 15.7.2021

Doris ist 96 Jahre alt, lebt in Stockholm und ihre Erinnerungen sind eng mit einem roten Adressbuch verknüpft. Als 10-Jährige hat sie dieses Buch von ihrem Vater geschenkt bekommen und die Namen und Adressen für sie wichtiger Menschen darin notiert. Von Stockholm aus chattet sie oft mit ihrer Nichte Jenny, die mit ihrer Familie in San Francisco lebt, blättert im Adressbuch und erzählt Jenny aus ihrem bewegten Leben. Die Idee hinter diesem Buch fand ich wundervoll. Ich mag unheimlich gerne Geschichten, in denen Figuren zurückblicken auf ihr Leben und daraus erzählen. Speziell hier ist, dass anhand eines Adressbuches erzählt wird. In abwechselnden Kapiteln erfährt man, wie die 96-jährige Doris allein und von Einsamkeit gezeichnet in ihrer kleinen Wohnung in Stockholm lebt. Unterbrochen werden ihre Tage, in denen sie an die Wohnung gefesselt ist, von den Besuchen einer Pflegerin und den wöchentlichen Skype Anrufen mit Jenny. Die Passagen, in denen Doris auf die Hilfe der Pflegerin angewiesen ist, sind ein Spiegel der heutigen Zeit im Bereich der ambulanten Pflege. Wenig Zeit, totale Abhängigkeit und schlussendlich ein Krankenhausaufenthalt mit der Frage, wie es weitergeht und ob Doris noch autonom leben kann? Doris vererbt Jenny das Wertvollste, das sie besitzt: ihre Erinnerungen. Es sind Erinnerungen an eine bewegte Zeit, in denen der Zweite Weltkrieg, eine unerfüllte Liebe, Hunger und eine Reise durch verschiedene Länder und Kontinente eine Rolle spielen. Die Differenz, zwischen der gebrechlichen Doris in der Gegenwart und dem selbstbewussten Mannequin in Paris empfand ich als frappant. Gleichzeitig gefällt mir die Botschaft dahinter. Hinter jedem betagten Mensch steckt ein Mensch mit einer Vergangenheit, in der er das Leben in vollen Zügen genossen und sich dem Leben gestellt hat. Der Schreibstil von Sofia Lundberg gefiel mir sehr. Immer wieder liest man tiefgründige und klangvolle Sätze. Wie zum Beispiel: „Ich durfte ein paar wunderbare Schritte durch die Kindheit mitlaufen“, als Doris ihre sehr viel jüngere Schwester bei sich aufnimmt. „Das rote Adressbuch“ ist ein tolles Buch mit einer facettenreichen Protagonistin und einem Plot, der mich überzeugt hat. Denn dieses Buch ist nicht nur eine Zeitreise, sondern auch eine Reise durch verschiedene Länder und Kontinente.

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