letterrausch
„Kleine Feuer überall“ von Celeste Ng geht gleich am Anfang in die Vollen: Das Haus der Familie Richardson brennt nieder, ziemlich schnell wird klar, dass die widerborstige und rebellische Tochter des Hauses (Izzy) das Feuer gelegt haben muss. Und nun? Nun erwartet man als Leser irgendwie, dass die Autorin uns im folgenden darüber aufklärt, wie es dazu kommen konnte, dass ein Teenager sein Elternhaus niederbrennt. Nun ja, diese Frage wird im Verlauf der Handlung durchaus geklärt werden, allerdings nimmt Celeste Ng mehrere Umwege, um den anfänglich aufgemachten Konflikt aufzulösen. Nach dem Hausbrand bewegt sich die Autorin zunächst in der Zeit zurück (völlig legitimes Mittel), um dem Leser die Familie Richardson vorzustellen. Da haben wir den Vater, der als Anwalt arbeitet, aber für das Familienleben absolut nebensächlich bleibt. Die Mutter, die eigentlich mal erfolgreiche Journalistin werden wollte, dann aber ein Kind nach dem anderen bekommen hat und nun auf ewig beim lokalen Blatt festsitzt. Weil es mit der Karriere nichts geworden ist, freut sie sich stattdessen darüber, dass sie ein vorzeigbares Haus in einem aseptischen Vorort von Cleveland besitzt und adrette Kinder hat. Diese Kinder konnte ich kaum auseinanderhalten, so austauschbar fand ich sie. Abgesehen von Izzy unterschieden sie sich nur in Geschlecht und Alter. In diese Szene, die man gefühlt in jedem dritten amerikanischen Film und jeder zweiten amerikanischen Serie schonmal so oder ähnlich gesehen hat, dringt nun ein Mutter-Tochter-Gespann ein, das einen gänzlich anderen Lebensentwurf verfolgt: Die Mutter ist Künstlerin, beide ziehen von Ort zu Ort, wann immer ihnen danach ist. Sie mieten von der perfekten Elena Richardson eine Wohnung und freunden sich bald – trotz der Differenzen – mit der Familie an. Und dann passiert lange nichts, bevor sich die Handlung zu einer Abfolge von Argumenten zum Thema Kinderkriegen – oder eben nicht – entwickelt. Es gibt das verzweifelte Paar, das selbst keine Kinder bekommen kann und nun ein Baby adoptiert. Es gibt eine Teenagerschwangerschaft mit Abtreibung, es gibt Leihmutterschaft, es gibt ein ausgesetztes Kind. Immerhin, Celeste Ng schafft es, dass diese unwahrscheinliche Häufung von Kinderkram in einem kleinen Vorort zu einer bestimmten Zeit nicht komplett überfrachtet wirkt, aber trotzdem hat man eher den Eindruck, ein Für und Wider zu lesen statt eines Romans. Auch hier ergeht sich Celeste Ng wieder in langatmigen Zeitschleifen. Man erfährt mehr, als man jemals wissen wollte, über Elena Richardson. Und auch Mias Künstlervergangenheit und das zerrüttete Verhältnis zu ihren Eltern wird so weitschweifig ausgebreitet, dass man irgendwann vergisst, an welchem Punkt diese Rückblende eigentlich eingesetzt hat. (Nämlich als Elena Richardson Mias Eltern ausfindig macht und mit ihnen spricht – umso seltsamer, dass die ganze Geschichte dann aus Mias Perspekte aufgerollt wird.) Außerdem geht es noch um einen Sorgerechtsstreit, um eine Abtreibung und um eine Verwechslung. Ganz schön viele Verwicklungen für ziemlich wenig Ertrag. Ich gestehe, mich hat davon auch schlicht nichts interessiert. Die Richardsons sind in ihrer Gesamtheit unglaublich banal und eben schon gefühlt tausend mal dagewesen. Mia und ihre Tochter Pearl sind mehr theoretischer Gegenentwurf zum Mainstream statt tatsächliche Charaktere. Und die kleine Rebellin Izzy (wir erinnern uns, sie hatte das Haus abgefackelt) ist ein Gegenargument auf Beinen, die einfach grundsätzlich allem widerspricht, was ihre Mutter von sich gibt. Diese Mutter war die einzige, die in mir eine Reaktion hervorgerufen hat – allerdings keine Gute. Ihre Annahme, als wichtiges Mitglied der Gesellschaft und als Lokaljournalistin einfach ungefragt in der Vergangenheit anderer Leute herumkramen zu dürfen, hat mich unglaublich abgestoßen. Dass sie natürlich bis zum Schluss keine Einsicht darüber erlangt, was ihr eigener Anteil an all den beschriebenen Begebenheiten ist, ist dann nur noch das Sahnehäubchen. Eigentlich mag ich Gesellschafts- und Familienromane. Ich mag es, wenn Autoren mir Figuren vorstellen und diese wirklich begleiten. „Die Interessanten“ von Meg Wolitzer ist für mich ein großartiges Beispiel – ich habe die Lektüre geliebt. Ihre Charaktere sind keine Superhelden und sie erleben keine Abenteuer. Aber sie sind dreidimensional und einfach lebendig. Ihr Leben zu verfolgen bereitet einfach Genuss. Das fehlte mir bei „Kleine Feuer überall“, Ngs Figuren wirkten immer wie Abziehbilder auf mich, nicht wie echte Menschen. Kurzum: „Kleine Feuer überall“ konnte mich leider nicht packen. Die beschriebenen Charaktere waren weder faszinierend noch neu, die Handlung unglaublich weitschweifig und im Großen und Ganzen uninteressant. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass der Topos „Abgründe des Vorstadtlebens“ von anderen mindestens genauso gut, meist sogar besser abgefrühstückt worden ist. Celeste Ng hat meines Erachtens nichts Neues beitragen können.