mrsrabe
Farouk ist Arzt in Syrien. Als der Krieg vor der Haustüre steht, beschließt er alles aufzugeben und mit seiner Frau und Tochter die gefährliche Überfahrt nach Europa zu wagen. Das führerlose Boot kentert, nur Farouk schafft es an Land. Der junge Ire Lawrence, genannt Lampy, ist vielleicht nicht die hellste Lampe am Luster. Immer noch lebt er bei der Mutter, die ihm nie verraten hat, wer sein Vater ist, und dem Großvater. Mit Müh und Not hat er das Abitur geschafft. Nun arbeitet er als „Mädchen für alles“ in einem Altenheim. John ist kein erfreulicher Zeitgenosse. Sein ganzes Leben als Erwachsener hat er davon gelebt zu manipulieren und betrügen. Doch nun sucht er Gottes Vergebung in einer Beichte all seiner Sünden. Farouk, Lampy, John: drei Männer, drei Lebensgeschichten. Der irische Schriftsteller Donal Ryan gibt in seinem Roman „Die Stille des Meeres“ jeder Geschichte ihren eigenen Tonfall. Farouks Schicksal, die Ausweglosigkeit der Flucht, die Ungewissheit und der tragische Verlust berührt ungemein. „Der Krieg war allmählich gekommen, war um sie herum gewachsen und nicht plötzlich vor ihrer Tür ausgebrochen.“ Die Bedrohung im eigenen Land, die miesen Tricks der Schlepper, die Tragödie im Meer und das Elend im Flüchtlingslager, es sind eindrucksstarke Worte auf nur wenigen Seiten. Niemand will die Worte des traumatisierten Flüchtlings hören, wenn er wieder und wieder ein archaisches Märchen von einem alten König, einem jungen Mädchen und dem sinnlosen Tod aller Vögel im Königreich erzählt. Lampy, der vaterlose „Bastard“, findet seinen Platz im Leben nicht. Zwischen Depression und Aggression lebt er ohne Antrieb. Seine erste Liebe hat ihn verlassen, seine neue Freundin scheint ihm nur zur Befriedigung seiner sexuellen Lust zu dienen. Ihm fehlt es an emotionaler Reife. Was nicht wundert. Denn der Großvater, der den „Jungen“ zwar mit Sicherheit liebt, versteckt seine eigene Gefühlswelt hinter zotigen Sprüchen und Stammtischparolen. Mit John, der plötzlich aus der Ich-Perspektive seine Lebensbeichte vor uns ablegt, haben wir ein ganz anderes Kaliber vor uns. Johns Kindheit war geprägt durch den Tod des Bruders. Danach blieb keine elterliche Liebe für ihn über. So verlegte er sich schon früh aufs Lügen, Betrügen und Manipulieren und wurde zu einem schäbigen Mistkerl mit Geld und Macht. Ein kurzer Lichtblick hätte die kurze Liebesbeziehung zu einer Frau sein können, die jedoch in einer Katastrophe endete. Was ist es nun, was diese drei Männer zusammenführt? Dieses Rätsel hat Donal Ryan in seinem letzten Kapitel gelöst. Zu Beginn des Buches erzählt Farouk seiner Tochter von Bäumen: „Wenn ein Baum hungert, wird er von seinen Nachbarn mit Nahrung versorgt. Niemand weiß, wie das funktioniert, aber so ist es.“ Seeinseln lautet die Überschrift des letzten Abschnitts. Inseln, die durch Ablagerungen oder Einschläge entstehen. „Was vergangen ist können wir nicht ändern, und was die Zukunft bringt, wissen wir nicht, aber man kann ich nicht sein ganzes Leben lang Sorgen machen…Man muss Gutes tun, und dann wird man irgendwann ein gutes Leben gehabt haben.“ Alles hängt zusammen und niemand ist eine Insel. Es beginnt mit dem Gleichnis der Bäume, der Verflechtung der Wurzelsysteme und endet mit diesen Inseln. Wir alle haben doch unsere Ablagerungen und einschlagenden Ereignisse, die wir nicht abwenden können und die uns formen. Ein Leitmotiv, dass allen drei Kapiteln zu den Protagonisten innewohnt: Tu Gutes. Farouk sagt es seiner Tochter, Lampy bekommt es von einer Heimbewohnerin zu hören und John war für kurze Zeit ein "guter Mensch", als er verliebt war. "From a low and quiet Sea" ist der Originaltitel dieses Buches. Wir lesen von drei Männern, stillen Wassern, mit schweren emotionalen Rucksäcken, wie sie mit ihrer Rolle als Mann umgehen und mit den Einschlägen, die ihr Leben geformt haben. Mich haben diese drei Geschichten auf unterschiedliche Weise mehr oder weniger berührt und wie sich der Kreis schließt fand ich erzählerisch hervorragend gemacht.