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Gabriele Feile

Posted on 10.7.2021

Endlich! Seit ich Hararis „Kurze Geschichte der Menschheit“ las, habe ich auf ein Buch gewartet, das aufdeckt, wann, wie und warum die angebliche Ungleichheit zwischen Frauen und Männern entstand. Harari erwähnt nämlich, dass diese über alle Kulturen existiert. Somit entfällt auch die am häufigsten genannte Begründung: die katholische Kirche ist schuld. Älter als das Christentum Carel Van Schaik und Kai Michel, ein erprobtes Autorenduo, haben es nun geschrieben, das Buch auf das so viele mit mir warteten: Die Wahrheit über Eva. Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern. Sie ziehen einen weiten Bogen, der lange vor Christus beginnt und im Heute endet. Dabei betonen sie, dass sie sich weitgehend auf westliche Regionen begrenzen, zu denen u.a. auch Mesopotamien, Israel, die Levante (der Ursprung der Landwirtschaft), das alte Griechenland und das Römische Reich zählen. Zwar kann ich verstehen, warum dieser große Bogen nötig ist, dennoch gebe ich zu, dass das Lesen dieser rund 90 % des Buches mich viel Durchhaltevermögen gekostet hat, bis endlich im letzten, dem 27. , Kapitel und im Epilog die Fäden alle verknotet wurden. Denn: Im Prinzip erfuhr ich nichts Neues, zumindest nichts, was ich gefühlt nicht schon wusste. Dass wir in einem männlich dominierten System leben, das auf Macht aufbaut, wissen und spüren wir deutlich. Vor allem die Frauen. Und wir Frauen spüren auch, dass dieses System nicht stimmig ist und warum. Diese Frauen gab es in allen Epochen, sie haben sogar Widerstand geleistet. Nur greift hier wieder der Selbsterhaltungstrieb des Systems: Von den Frauen wird so gut wie nicht berichtet, denn die Berichterstatter sind in der Regel Männer, egal ob es Philosophen, Gelehrte, Priester oder Archäologen waren oder sind. Die Patrix Dass auch dieses Buch von zwei Männern geschrieben wurde, kann man als Fortschreibung des Systems sehen. Dennoch möchte ich sagen, dass die beiden das recht gut gemacht haben. Sie lassen sehr viele Frauen zu Wort kommen und bringen die weibliche Sicht mit ein. Trotzdem ist es völlig natürlich, dass sie nicht am eigenen Leib erfahren, wie das System auf Frauen wirkt und es deshalb nicht beschreiben können. Übrigens finden sie einen sehr treffenden Begriff für das System: Die Patrix, kurz für patriarchale Matrix - nicht zufällig angelehnt an den berühmten Film „The Matrix“, aus dem sie ebenso zitieren wie aus Hararis eingangs erwähntem Werk. „Der Begriff Patrix wurde bisher im Umfeld der Gaia University benutzt, einer Online-Universität, die sich der ökosozialen Erneuerung verpflichtet hat.“ erfahren wir auf Seite 31. 7 Schritte zur Wahrheit über Eva In 7 Schritten werden Leser:innen also zur Wahrheit geführt, und es ist nicht verwunderlich, dass sich dieses extrem starke Ungleichgewicht zu Gunsten von Männern auf einen ganz bestimmten Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte zurückführen lässt: Das Sesshaftwerden samt Erfindung der Landwirtschaft. Besonders tragisch: Es waren Frauen, die begannen, Pflanzen zu kultivieren, ohne zu wissen, dass sie damit ihr eigenes Schicksal sehr stark beeinflussten. Denn zu diesem Zeitpunkt ändern sich die Verhältnisse: Mit der Zunahme von Geburten, wurden Frauen immer mehr in die Mutter- und „Hausfrauen“-Rolle gedrängt, ein Erbe, das wir heute noch „verwalten“. Während Männer Eigentum schufen, erkämpften und vererbten (ausschließlich an die Söhne), wurden Frauen systematisch selbst zum Eigentum von Männern gemacht. Sie wurden „verdinglicht“, waren also käuflich und verkäuflich (als Tochter, Ehefrau, Sklavin, Prostituierte), ihre Netzwerke wurden zerstört und ihre Sexualität wurde und wird bis heute von Männern kontrolliert. Und die Männer? Sie wurden von Jägern zu Kriegern, Despoten und Patriarchen. Sie trugen und tragen die Patrix von Generation zu Generation weiter und waren dabei so erfolgreich, dass wir alle heute glauben, das sei das einzige je existierende System zum Zusammenleben der Menschheit. Dabei macht diese Phase nur rund 1 % der gesamten Menschheitsgeschichte aus. Denn rund 99 % der Zeit lebten wir Menschen als nomadische Jäger und Sammler - egalitär organisiert. Frauen trugen in etwa gleich viel zum Familieneinkommen und zum Gruppenerhalt bei wie Männer. Und sie hatten die Möglichkeit, die physische Überlegenheit der Männer dank ihrer sozialen Stärken und ihren festen Netzwerken auszugleichen. Was ist denn nun die Wahrheit über Eva? Es gibt laut Autoren mehrere angebliche Wahrheiten über sie. Denn die Geschichte über Eva wurde stets so interpretiert und wiedergegeben, ja missbraucht, wie sie dem jeweiligen männlichen Machtgefüge nützte. Eva wurde zum Sündenbock für sehr viele(s), und damit alle ihre Töchter. Die Ungleichheit ist also ein kulturelles Erbe, kein biologisches. Dennoch finden van Schaik und Michel eine Wahrheit über Eva, die sie im Epilog aussprechen. Und sie finden sogar passende Hashtags: #eslebedieEVAlution oder #niedermitderpatrix Fazit Das Buch ist absolut lesens- und empfehlenswert, auch weil es historische Fakten und Geschehnisse und mythische und religiöse Geschichten miteinander verwebt und Verbindungen herstellt. Es ist dennoch kein vollständiges Werk, das diesem Thema voll und ganz gerecht wird, das kann und soll es auch nicht sein. Eine „Erwiderung“, die aus weiblicher Sicht geschrieben ist, ist mein nächster Buchwunsch. Auch wenn sich diese vermutlich viel schwieriger schreiben lässt, weil die Geschichten über Frauen nicht im selben Umfang vorhanden sind (die Patrix ist wieder mal schuld). Wünschen darf ich es mir trotzdem.

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