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gwyn

Posted on 9.7.2021

«Die Stärke des Skizzierens ist, dass man priorisieren muss. Also wenn ich ein Foto anschaue, zeigt mir das den gesamten Raum, wie er ist. Es zeigt Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund. Es zeigt Grauwerte, Strukturen – es zeigt enorm viel. ... In der Handzeichnung hingegen kann ich klar zeigen, was ich interessant finde. Weil ich mich in der Skizze einem Entscheidungsprozess unterwerfe, wird sie wesentlich klarer.» Felix Scheinbergers Zeichnungen haben mir schon immer gefallen. Er ist ein Aquarellkünstler aus Berlin, ein Urban Sketcher. Seine Themen sind Menschen, insbesondere Porträts und ebenso Stadtbilder, urbane Szenen. Bleistift, Tinte und Aquarell sind seine Handwerksmittel. Seine Bilder sind schrill und schräg – ausdrucksstark. Mit diesem «geheimen Skizzenbuch» entführt er den Leser in eine Welt, in der Fotos verboten sind: Nächtliche Feste, Clubs, geheime Treffen, Subkulturen der BDSM - und Fetischszenen auf Technopartys im Herzen der Nacht. Das Handy muss man bei diesen Clubtreffen am Eingang der Halle an der Garderobe abgegeben, das Fotografieren ist verboten. Doch Felix Scheinberger, bewaffnet mit Skizzenbuch und einem kleinen Malkasten, bekommt Einlass. Sehr respektvoll geht er an die Personen heran, zieht die Kernpunkte aufs Papier. Schräg, traurig, erheitert, kokett, nachdenklich – das Repertoire ist weitreichend und tiefgründig. Er fragt, bevor er zeichnet, und zeigt den Porträtierten das Ergebnis, fragt, ob sie einverstanden sind, wenn er dies veröffentlicht. Ein Nein hat er noch nicht erhalten. Die urbanen Szenen sind farbkräftig, manche ein wahrer Farbrausch. In einem Interview sagte Felix Scheinberger: «Wenn du jemandem direkt in die Fresse fotografierst, dann ist das schon sehr detailliert, man sieht jede Pore. Aber ich will niemandem in die Eingeweide gucken. Die Zeichnung hingegen reduziert schon per se. Die Welt wird in Linien heruntergebrochen. Und die Zeichnung hat etwas Erotisches. Es geht weniger darum, die Personen ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren, was oft voyeuristisch und pornografisch ist.» Die Skizzen stammen aus dem Nachtleben von Berlin, Rio de Janeiro, Moskau und New York. «Kinder der Nacht» enthält Zeichnungen aus den letzten Jahren, gibt auf 224 Seiten Einblick in eine Subkultur: authentisch, geheimnisvoll, sexy und schräg. Drainting nennt Felix Scheinberger die Kombination von Malen und Zeichnen. Hiermit gibt der die klassische Trennung vom Flächenmalen und den Linien des Zeichnens auf, verbindet Skizze und Bild zum Ganzen. Felix Scheinberger wurde in Frankfurt am Main geboren. Schlagzeug war ihm wichtiger als Schule, statt Abi zu machen, spielte er bis zum 22. Lebensjahr in Punkbands. Die Begabtenprüfung wurde seine Eintrittskarte an die FH für Gestaltung Hamburg, wo er Illustration studierte und anschließend nahtlos in die Selbstständigkeit startete. In den letzten zehn Jahren hat er 50 Bücher illustriert, regelmäßig für angesehene Zeitungen gearbeitet, Preise gesammelt, in Mainz, Hamburg, Jerusalem und Münster gelehrt. Mit «Mut zum Skizzenbuch», «Illustration und Wasserfarbe für Gestalter», hat er reihenweise Kreative Bleistift und Aquarellkasten wiederentdecken lassen. Felix Scheinberger lebt in Berlin und lehrt als Professor für Illustration an der FH Münster.

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