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gwyn

Posted on 9.7.2021

Der erste Satz «Wir wollten zusammen alt werden.» der Satz, der wie ein Mantra, mehrfach über die erste Seite schwingt. Nach dreizehn Ehejahren stehen sie vor den Scherben ihrer Ehe, Ángela hat die Kisten durch ein Umzugsunternehmen auf die Reise gegeben, steht in einer leeren Wohnung, die voller sichtbarer «Lebensspuren» steckt: Kratzer hier und da, sie kann sich erinnern, wann jeder einzelne entstanden ist; Kinderkritzeleien an der Wand, Staubränder von Möbeln. Der zeitgenössische Roman hat ein glückliches Ende, denn er wird als Kammerspiel im Zwiegespräch rückwärts erzählt. Am Anfang gibt es harte Verletzungen, der Rückblick wird immer weicher – bis hin zum Kennenlernen, zur Entstehung einer Liebe. Risse in der Beziehung, Brüche. Wann hat es begonnen? Oder ist Liebe eine Illusion, der Bruch eine schleichende Erosion, die vorauszuahnen war, weil irgendwann alles abgenutzt ist? Der Roman ist in zwei Teile aufgeteilt. Es beginnt mit der Trennung, mit verletzenden Vorhaltungen, die typische Abrechnung bei einer Trennung. Die Figuren werden immer weicher, die Auseinandersetzung geht über in eine ernste Begegnung auf Augenhöhe, eine Analyse in intellektueller Form; sie schwelgen in Erinnerung an ihr gemeinsames Leben. In diesem Kammerspiel scheint es, als sei man als Leser zunächst an einem Briefwechsel beteiligt. Abwechselnd machen sich die Beteiligten in längeren Passagen Vorhaltungen, der andere widerspricht in langen Abschnitten. Je weiter wir zur Mitte und zum Ende kommen, umso enger rücken die beiden zusammen. Der Leser fühlt sich irgendwann als heimlicher Zuhörer eines Gesprächs. Es geht am Ende sogar so weit, dass sich das Paar gegenseitig angefangene Sätze beendet – sie klingen wie frisch Verliebte. Das ist dramaturgisch großartig gesetzt. «Diese ganzen Freiheiten können nur Menschen genießen, die sich eine gute Schule leistenkönneneine vernünftige Krankenversicherung, ein Auslandsstudium, unbezahlte Praktika, die ihre Familie mit einem einzigen Gehalt ernähren können, für die jemand putzt und sich um die Alten und Kinder kümmert, die eine Geliebte haben, die sich scheiden lassen können, und wir, die wir uns soviel Freiheit nicht leisten können, sind die Gelackmeierten ...» Aber das Abbild einer Familie ist auch gleichzeitig das Abbild einer Gesellschaft. Am Anfang der Ehe hatten sich das paar ein altes Haus auf dem Land gekauft, das sie Stück für Stück renovieren wollten, um irgendwann dort einzuziehen, zunächst ein Wochenendtraum, dann das eigene Häuschen. Ángela war in ständiger Planung – doch das alles blieb nur ein Traum mangels Finanzierung. Ángela ist eine verbeamtete Lehrerin in Elternzeit, die ihre zwei Töchter genießen will, sich um sie kümmern, was sie als bedürfnisorientierte Elternschaft bezeichnet. Sie steht im Konflikt mit der Schwiegermutter, die sich für eine Feministin hält, das lange Stillen ablehnt und meint, Frauen sollten ebenso wie Männer Karriere machen. Diese Frau wiederum begibt sich in die zweite Ehe mit einem absoluten Patriarchen – man muss sich absichern, er sei ein wenig schwierig, aber ein guter Mensch. Antonio steht unter Leistungsdruck, regelt sein Leben durch optimiertes Selbstmanagement. Früher einmal Ressortleiter einer Zeitung, muss der Journalist heute als Freiberufler um jeden Auftrag kämpfen, er muss die Familie ernähren, für den Sohn aus erster Ehe Unterhalt zahlen. Er schläft nur vier Stunden pro Nacht, doch das Geld reicht geradeso hin. Ziemlich spät realisiert er für sich, wie er unter Strom steht, Ángela sich entspannt um die Kinder kümmert. So stellt Antonio resigniert fest: «Liebe ist etwas für Leute, die sie sich leisten können.» Eine Situation fand ich auch prägnant für das heutige Spanien (Altersheime gibt es kaum): Als Antonios Mutter sich scheiden lässt, bekommt sie eine hübsche Summe vom Ehemann ausgezahlt, will das Geld den Kindern überlassen – z.B. für den Ausbau des Landhauses. Die Kinder lehnen ab mit der Begründung, die Mutter solle sparen, denn wahrscheinlich könne man sich später nicht um sie kümmern, weil man selbst arbeiten muss, wenn sie alt und gebrechlich sei. Sie brauche dann eine Pflegekraft, die wahrscheinlich die Kinder auch nicht werden finanzieren können. Wirtschaftskrise, Feminismus, die neuen Mütter, Kindererziehung, der Riss zwischen arm und reich, es gibt eine Menge gesellschaftlichen Stoff in dieser Geschichte. Auch sich scheiden lassen muss man sich erst einmal leisten können ... «Väter in winzigen Wohnungen, für die sie sich vor ihren Kindern schämen, oder die zu ihren Eltern in ihre einstigen Jugendzimmer zurückgekehrt sind, ... Geschiedene, die auf einem Campingplatz wohnen.» Antonio zieht zurück zu den Eltern, Ángela mit beiden Mädchen in eine kleine Dreizimmerwohnung, bittet Antonio um Unterhalt für die Mädchen, damit sie sich die Wohnung leisten kann. Antonio will lieber in Naturalien für die Mädchen zahlen. Die Scheidung wird jedem etwas abverlangen, nicht nur in der Seele brennen. Antonio hat sich bereits neu arrangiert mit einer ziemlich jungen Freundin. In diesem Roman ist niemand gut oder böse – es ist passiert. Isaac Rosa dringt tief in eine Beziehung ein, legt männliche wie weibliche Einstellungen offen, Generationskonflikte, gesellschaftliche Schieflagen. Alleine die Dramaturgie ist außergewöhnlich gut konstruiert. Eine gescheiterte Beziehung – sie steht für alle anderen Paare, denen ähnliches passierte, ein Stoff, in dem sich letztendlich jeder wiederfinden kann. Doch auch, was Isaac Rosa hier an sprachlicher Prägnanz abliefert, ist schlicht hervorragend – Literatur vom Feinsten! Ich mag dieses gute Buch nicht unter Liebesroman einordnen, es käme in das falsche Regal, das es allerdings aufhellen würde. Die Übersetzer Marianne Gareis und Luis Ruby haben jeweils den weiblichen, bzw. männlichen Teil übersetzt, am Ende die Übersetzung des anderen gegengelesen. «Es ist schwer, Liebe in Worte zu fassen, ohne dabei zu denken, dass alles schon gesagt ist, dass wir nichts anderes tun, als überlieferte Sprüche zu wiederholen, Dialoge in Kinofilmen. Es ist schwer, zu lieben, ohne zu erwarten, dass im nächstbesten Moment die Scheißgeigen erklingen. Es ist sogar schwer, zu vögeln, ohne zu erkennen, dass man Stellungen aus dem Kino imitiert, dass selbst das Stöhnen geliehen ist. Die scheußliche ironische Distanz, die alles verseucht, eine schnelle Nummer genauso wie eine Beerdigung.» Isaac Rosa, geboren 1974 in Sevilla, gehört zu den wichtigsten Stimmen der spanischen Gegenwartsliteratur. Seine Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Premio Rómulo Gallegos, dem Premio Cálamo und dem Premio Andalucía de la Crítica. International bekannt wurde er mit seinem Bestseller »Das Leben in Rot«, der erfolgreich verfilmt wurde. Isaac Rosa ist als Kolumnist für verschiedene Magazine, Tageszeitungen und Nachrichtenportale tätig. Er lebt in Madrid.

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