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gwyn

Posted on 6.7.2021

«Das Gras fächelt im Wind. Der Wiesenkerbel wiegt sich, seine leichten Kronen schweben wie Tüll unter den Insektenwolken, und wohin man auch blickt, steht eine Staude, eine Rispe, sitzt eine sommerblitzende wilde Fliege, brummt eine schwerfällige, tollpatschige Hummel – gleich einem Ringer prallt sie gegen die schwankenden Stauden. Hier unten im Gras, in der Liliputwelt, erweckt die Hummel den Anschein eines gutmütigen, hungrigen Bären.» Die Naturessays des schwedischen Literaturnobelpreisträgers Harry Martinson entstanden vor allem in den Dreißigerjahren. Diese 45 Texte sind eine Auswaswahl aus den Jahren von 1937-1963. Ein Leseerlebnis für Freunde des Nature Writing; vielen unterliegt ein düsterer Subtext. Politische Veränderung, Krieg und eine sich anbahnende Zerstörung der Natur schwingen mit. Harry Martinson zog zum Schreiben mit seiner Ehefrau in eine Hütte, mitten Wald gelegen, südlich von Stockholm, umgeben von Seen, bevölkert von Stechmücken, Schmetterlingen und Käfern. Präzise beschreibt er, was er sieht, vermischt dies mit sicheren biologischen Kenntnissen. «Eisginster, ja. Feuergoldenes, zitronensaures Blendwerk und Spott, während die Kälte in den Wäldern knarrt und die Luft in entgegengesetzter Richtung wie eiskalte, wochenalte Wintermagermilch erscheint, ungenießbar wie der Schnee, nährstoffarm wie der Winter und mit einem todesstummen hohen Ton erklingend wie ein Vibrato von Eisnadeln. Hilflose Feuerpracht und Kälte. Februar.» Ob er sich nun der Beobachtung von Tieren Pflanzen, dem Himmel, dem Wetter oder den Jahreszeiten widmet, Harry Martinson entwickelt eine eigene Tonalität, eine eigene Sprache. Luftschlachten werden um Blüten geschlagen, Insekten im «rüttelnden Flug von Kampffliegern» umschrieben. Natur bedeutet Erblühen von Leben, verblassen und am Ende folgt der Tod unausweichlich – Fressen und gefressen werden: ein Schlachtfeld besetzt von Jagdfliegern, Raubfliegen und Larvenmördern. Ein ewiges Spiel im Naturkreislauf, das er wortgewaltig zu beschreiben vermag. Die Wiese, das «Konditoreischloss der Natur mit tausend Türmchen», in der die Lauerjäger sitzen, «heuchlerisch, als wollten sie den Anschein erwecken, sie hätten gerade die Postille gelesen ... aber bewachen insgeheim jede Bewegung unter den übrigen Gästen der Konditorei». Es gibt wundervolle Worterfindungen, ein Blick auf das Detail, auf das soziale Gemenge einer Microwelt. Interessant ist auch das Nachwort von Klaus-Jürgen Liedtke, der vor einer Herausforderung beim Übersetzen stand. Wer Spaß an außergewöhnlichen Naturbeschreibungen hat, dem werden diese Essays gefallen. «... kann man Stunden opfern und doch meinen, es sei kein Opfer gewesen.» Harry Martinson (1904–1978), Sohn eines ehemaligen Kapitäns und bankrotten Ladeninhabers, wuchs in Jämshög in Blekinge auf und verlor seinen Vater im Alter von sechs Jahren. Während die Mutter nach Kalifornien auswanderte, wurden Martinson und seine Geschwister als «Verdingkinder» von Jahr zu Jahr reihum auf Bauernhöfe gegeben. 16-jährig heuerte Martinson als Matrose an, 1927 kehrte er lungenkrank nach Schweden zurück. Sein erster Gedichtband »Das Geisterschiff« erschien 1929. Im selben Jahr heiratete er Helga Maria Swartz, die 1933 als Moa Martinson ihr literarisches Debüt gab. Martinson hatte mit Gedichten, Romanen und Reisebeschreibungen vor allem Erfolg bei der jüngeren Generation. Er ließ sich bei Stockholm nieder, doch der Nomadentrieb blieb ihm erhalten – immer wieder ging er auf Wanderschaft. In den späten 1930er Jahren verfasste er drei eigensinnige Bände mit Texten über die Natur. 1974 erhielt er, gemeinsam mit Eyvind Johnson, als Mitglied der Schwedischen Akademie den Nobelpreis für Literatur. Trotz großer Beliebtheit beim Publikum waren etliche seiner Werke umstritten. Martinson, bekennender Buddhist, beging schließlich während eines Krankenhausaufenthalts Suizid mithilfe einer Schere.

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