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daslesendesatzzeichen

Posted on 18.6.2021

Eine Frage der Perspektive Neulich stand im Status einer Freundin auf dem wohlbekannten Instant-Messaging-Dienst ein Spruch, der in etwa lautete: „Wenn es keine Männer gäbe, wäre die Welt voller glücklicher, rundlicher Frauen“. Das ist überspitzt formuliert, aber der Gedanke, der bei dieser Aussage transportiert wird, ist durchaus berechtigt und regt zum Grübeln an: Setzen wir Frauen uns selbst derart unter Druck, einem (vermeintlichen) Idealbild von Frau zu entsprechen, dass wir einen Großteil unserer Energie und Lebenszeit darauf verwenden? Und/oder setzen uns die Männer aktiv so sehr unter Druck, indem sie uns signalisieren: Wirklich Erfolg habt Ihr nur, wenn Ihr nach unserer Pfeife tanzt und unseren Wünschen entsprecht? Der Autorin Jovana Reisinger ist mit dem vorliegenden Buch „Spitzenreiterinnen“ ein cooler, großer Wurf geglückt. Sie nimmt genau diesen Punkt unter die Lupe, nämlich die Frage, was ist in der derzeitigen Gesellschaft eigentlich der Motor für das Handeln der Frauen? Sie bedient sich dabei des stilistischen Kniffs, dass sie ingesamt 9 Frauen über einen Zeitraum von 4 Monaten begleitet. Sie lässt die einzelnen Stränge episodenhaft für sich stehen, wobei die Frauen dennoch auch untereinander in Beziehung zueinander stehen, ihre Wege sich kurz, auch unbewusst treffen, der Fokus aber nicht darauf liegt, diese Stränge zu einem Ganzen zu verflechten, sondern sie in ihrer Einzigartigkeit alleine stehen zu lassen. Jede dieser Frauen hat ihr ureigenstes Thema, immer ist der Blick ein feministischer, der herausfinden möchte, warum es den Frauen so geht, wie es ihnen geht, in einer männerdominierten Welt. Da ist die kluge Petra, die völlig überqualifiziert ist für ihre Stelle als Assistenz in einer Kunstgalerie, wo sie in Wirklichkeit wenig mit Kunst zu tun hat, sondern eher die Poststelle für die Männer des über ihnen einquartierten Büros ist oder die Hundesitterin für den kleinen tierischen Schatz der Chefin, wenn er sie nervt. Jeden Tag hat sie Muffesausen vor der Demütigung der Männer, die aus dem Designbüro kommen und ihre Briefe abholen. Immer haben sie einen miesen Spruch auf Lager, lassen sie spüren, wie weit unten in der Hierarchie sie ist und wie weit oben sie, die Männer. Meist versucht Petra, die Klappe zu halten und still zu sein. Das wird dann so trocken und sarkastisch beschrieben wie hier: “Petra wird dafür bezahlt, freundlich zu sein. Manchmal muss sie an ihrer Attitüde arbeiten. Das fällt aber nur anderen Leuten auf. Die helfen ihr dann, ihr Benehmen zu korrigieren.“ Aber Petra ist nicht nur „weniger wichtig“, sie ist auch noch lesbisch, weswegen sie erst recht auf der Hut sein muss und sich immer wappnen muss, denn blöde Sprüche kommen da regelmäßig. Laura hingegen hat ganz andere Themen, sie hat den großen Fang an Land gezogen, der ihr (mit obligatorischem Superverlobungsring) einen formvollendeten Heiratsantrag macht. Doch mag man sich anfangs noch für sie freuen, stellt sich nach und nach ein merkwürdiger Beigeschmack ein, wenn man sie über die Buchseiten hinweg weiterverfolgt: Ist es wirklich Liebe, die Laura an den Mann ihrer Träume bindet? Ist es Liebe, die ihn mit ihr zusammen sein lässt? Damit seinem Vermögen nichts passieren kann, lässt er sie jedenfalls, ganz unromantisch, gleich mal einen Ehevertrag unterschreiben. Wichtig ist, dass er mit Laura ein Frau an seiner Seite hat, mit der er repräsentieren kann oder schlichter: angeben. Sie ist schön, jugendlich, fast makellos. Dass sie dafür alles andere aufgibt, scheint er kaum zu bemerken. Arbeiten muss sie nicht, Geld ist genug da. Also kümmert sie sich darum, dass Haus und Garten top aussehen und dass sie top aussieht. Dafür wird alles ausprobiert, seien es Cremes, Medikamente, Anwendungen oder – auch schon ins Auge gefasst – chirurgische Eingriffe. Wenn‘s hilft und schön macht, ist‘s schon okay. Mitleid überkommt einen beim Beobachten dieser Marionette, die geliebt werden möchte. Und so gibt es viele andere unerwartete Entwicklungen bei der Aufbereitung dieser Charaktere – da gibt es junge, alte, mutige, ängstliche, kluge und nicht so kluge Frauen, aber sie alle eint die Frage nach dem Antrieb ihres Handels. Sind es nun wir Frauen selbst, die sich unter Druck setzen und in solche Stereotype pressen lassen oder sind es die Männer, die dies mit uns machen? Ein spannender Ansatz, dieser radikal-feministische Blickwinkel und für mich ein Grund, diesem Buch 5 von 5 Sternen zu vergeben.

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