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hyperventilea

Posted on 18.6.2021

Ein sehr bewegtes und bewegendes Leben „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.“ August Bebel Tom Monderath ist ein bekannter, erfolgreicher Kölner Nachrichtenmoderator. In seinem Privatleben läuft es im Gegensatz zum Berufsleben gerade nicht rund. Seine Mutter Greta wirkt zerstreut, kann sich an kürzlich Erlebtes nicht mehr erinnern und verliert immer wieder die Orientierung. Tom muss sich intensiver um sie kümmern. Dabei erfährt er immer mehr Details aus Gretas bewegter Vergangenheit. Ein ganz spezielles Foto und Gretas Reaktion darauf bringen Tom dazu, auf eigene Faust zu recherchieren und er lernt eine ganz andere Seite seiner Mutter kennen. Autorin Susanne Abel erzählt klar und flüssig. Sie schildert im Präsens aus Toms und Gretas Sicht das aktuelle Geschehen, das im Juli 2015 beginnt. In Rückblenden beschreibt die Autorin immer wieder auch wichtige Momente aus Gretas Vergangenheit während des Zweiten Weltkriegs und der Besatzung. Mit Greta hat Susanne Abel eine Protagonistin gewählt, die so viel erlebt hat, dass es kaum zu glauben ist. Aufgewachsen in Ostpreußen, muss sie nach dem Krieg ihre Heimat verlassen. Das Leben als Flüchtling setzt ihr und ihrer Familie hart zu: „Ich will kein Flüchtling mehr sein“, entgegnete Greta, die sich geschworen hatte, niemals wieder wie einer behandelt und ausgegrenzt zu werden.“ Als Greta in Heidelberg den GI Bob Cooper kennenlernt, verändert und prägt dieser ihr Leben nachhaltig. So heißt es „Greta dachte, dass Bob sie zum glücklichsten und unglücklichsten Menschen gleichzeitig machte.“ Gretas Schicksal bewegt definitiv, dennoch kam mir die Figur Greta manchmal nicht wirklich nahe, blieb mir in bestimmten Situationen fremd. Am Ende, nachdem ich ihre ganze Geschichte kannte, entwickelte ich einen intensiveren Bezug zu ihr. Greta ist zweifelsohne eine sehr vielschichtige, interessante Figur, die ihre Lebensumstände, ihr Schicksal zu dem gemacht haben, was sie ist. Oft blieb ihr nichts anderes übrig, als alles irgendwie hinzunehmen. In Greta stecken gleichermaßen „Greta“ und die junge Frau „Gretchen“: „Gretchen fühlt sich geborgen. Und sicher. Sie ist glücklich. Und Greta auch.“ Aktuell verliert sich Greta immer mehr: „Ich bin hier, ohne da zu sein“, bringt sie es auf den Punkt. Ihrem Roman vorangestellt hat Susanne Abel ein Zitat Willy Brandts: „Geschichte, wie bitter sie auch sein mag, ist Realität, die täglich in unserer Gegenwart und die in unserer Zukunft fortwirkt.“ Wie sehr Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einander verursachen und bedingen, wird in „Stay away from Gretchen“ sehr anschaulich und deutlich dargestellt. Tom berichtet als Journalist immer wieder von der Flüchtlingswelle von 2015 und befasst sich privat mit der Flucht seiner Mutter aus Ostpreußen nach dem zweiten Weltkrieg. Zwangsläufig tauchen dabei enge Bezüge und Parallelen auf. Der Roman macht auf spezielle historische Aspekte wie den „Brown Baby Plan“, der mir bis dato völlig unbekannt war, aufmerksam. Sehr informativ und gleichzeitig erschütternd mehr darüber zu lesen. Auch das Thema „Demenz“ nimmt eine große Rolle in der Geschichte ein. „Vielleicht ist Liebe gar nicht im Gehirn, sondern in der Seele gespeichert. Dann kann sie nicht durch Alzheimer zerstört werden.“ Nicht zuletzt ist der Roman eine Liebesgeschichte. Gretas Liebe zu Bob mag „unmöglich“ sein, aber sie ist dafür umso intensiver. Auch die tiefe Zuneigung zwischen Opa Ludwig und der Guste-Oma hat mich sehr beeindruckt. Im Nachwort erklärt Susanne Abel, dass sie mit ihrem Roman den „Alten“ „Gehör verschaffen“ wollte. Denn auch wenn sich viele ältere Menschen in ihrem Erscheinungsbild gleichen mögen, sind sie doch genauso individuell wie junge Leute. Sie sind gleichzeitig „acht, achtzehn und achtzig“. Das ist naheliegend, wird aber immer wieder gerne vergessen. „Stay away from Gretchen“ ist ein überaus vielschichtiger, prall gefüllter Roman, der von Leben, Geschichte, Krankheit, Verlust, Politik und vielem mehr erzählt. Gerade in aktuellen Zeiten, in denen Toleranz und Verständnis für andere immer mehr schwindet, eine lohnenswerte, wichtige Lektüre.

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