Buchhandlung Almut Schmidt Kiel
Die Gegenwart ist durch Regelwerke geprägt und es gibt zurzeit nur ein Thema, das uns Menschen beschäftigt. Will man gerade jetzt ein Buch lesen, in dem eine Pandemie ausbricht? Bei diesem Werk gibt es nur eine Antwort: unbedingt! Denn es ist viel mehr als ein Pandemieroman, der vor den jetzigen Geschehnissen geschrieben wurde. Dieses Debüt beinhaltet eine lesenswerte Familiengeschichte, ist eine bissige Gesellschaftssatire und ein packender Entwicklungsroman. Vorrangig geht es um Routine und Rituale, die wir zelebrieren und anscheinend immer wieder benötigen. Denn egal, wie die Umstände sind, suchen wir nach Halt und finden diesen meist in den auferlegten Regeln und in der alltäglichen Routine. Der titelgebende Geist ist eine Frau, die anhand von Fotos ihre Umgebung fixiert. Sie möchte an ihrer Welt festhalten und diese anhand ihrer Fotokunst belegen. Das Festhalten an dem Alten bedingt einen Geist, er akzeptiert nicht seine Leere oder sein Ableben. Candace Chen ist, als sie sechs Jahre alt war, mit ihren Eltern aus China gekommen. Ihre Eltern verstarben und die studierte Candace erhält durch einen alten Freund ein Vorstellungsgespräch bei dessen Bruder. Sie lebt in New York und arbeitet fortan bei einem größeren Verlagsdienstleister, der die Materialbeschaffung und die weltweiten Drucklegungen organisiert. Sie ist zuständig für die Herstellung von Bibeln. Ihre Freunde und die neue Arbeit lassen sie in der Gesellschaft aufsteigen, in der es normal ist, auf Dienstreise in besseren Hotels zu wohnen, feudal zu speisen und das Shoppen zu genießen. Doch kommt sie persönlich nur langsam mit dieser Welt mit und verliert sich gerne in ihrer Routine. Ihr studiertes Kunstwissen lebt sie lediglich als Hobbyfotografin aus. Sie betreibt einen Blog, in dem sie ihre Welt für ihre Follower visualisiert. Auf einer Party, auf die sie aus einer Laune heraus einen Exfreund eingeladen hat, lernt sie auch ihren Nachbarn besser kennen. Somit lebt sie sich in New York ein und nennt sich zumindest in der Bloggerszene New York Ghost. Aus Asien kommen dann Pilzsporen, die sich durch die Globalisierung und das Konsumverhalten schnell verbreiten. Diese legen sich in der Lunge ab und befallen kontinuierlich den Wirt. Der Verlauf ist meist tödlich. Doch gibt es Menschen, die verschont bleiben, auch Candace, die anfänglich davon nichts mitbekommt und bis zuletzt in der Stadt bleibt. Da viele New York verlassen haben, bleibt sie fast alleine in der Metropole und agiert weiterhin als Ghost, um den Menschen die aktuellen Entwicklungen mitzuteilen. Später flieht auch sie und schließt sich einer Gruppe Überlebender an. Angeführt von einem dubiosen Mann, versuchen sie ein Domizil zu erreichen. Auf dem Weg plündern sie und erlösen die vom sogenannten Fieber Befallenen. Die Gruppe hat ihre eigenen, fast schon religiösen Regeln. Doch ist Candace hier in Sicherheit? Wie geht es mit ihr und den Menschen weiter? Der Roman bietet ganz viele Themen an und erzeugt neben den Bildern anregende Gedankenspiele. Kapitalismuskritik eint sich mit der voranschreitenden Entmenschlichung. Die New York-Geschichte liest sich wie ein toller Entwicklungs- bzw. Familienroman. Durch die Sprünge in die nahe Zukunft wird der Roman eine kleine Dystopie und spielt innerhalb einer packenden Endzeit- und Zombiefilmkulisse. Ein visionärer Roman, voller stimmiger Figuren und Handlungsverläufe. Das Buch ist spannend, hat einen gewissen Witz und ist wirklich sehr gut geschrieben. Es ist ein Werk, das uns unsere Menschlichkeit zeigt und eine Vision eines möglichen Danach aufzeigt. Ling Ma wurde, gleich ihrer Heldin, in China geboren und wuchs in den USA auf. Ihr Debütroman, der von Zoë Beck übersetzt wurde, gewann bereits zahlreiche Preise.