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Buchhandlung Almut Schmidt Kiel

Posted on 11.6.2021

Julia Rothenburg geht mit jedem Buch etwas weiter. Sie versteht es erneut, anhand ihrer Figuren einen umfangreichen Bogen an Milieus und Stimmungen zu erzeugen. In ihrem dritten Roman „Mond über Beton“ weckt sie nicht nur eine Handvoll Charaktere, sondern auch einen Wohnbezirk, einen brisanten Berliner Platz zum Leben. Dabei ist der regionale Bezug zu Berlin lediglich ein Bild, das die Autorin erzeugen möchte, das aber in jeder Stadt spielen könnte. Die Handlung spielt am Kottbusser Tor und Zentrum Kreuzberg. Dieser Platz erwacht mit dieser Lektüre wortwörtlich für wenige Tage. Man muss kein Berliner sein und die Örtlichkeiten kennen, um dem Charme und dem Reiz der Figuren und Handlungen zu erliegen. Rund um den Platz hat sich eine Drogenszene etabliert und somit ist es ein Sammel- und Brennpunkt verschiedenster Gesellschaften, Kulturen und Kriminalität. Inmitten diese Welt wirft uns Julia Rothenburg hinein. Mit viel Empathie entwirft die Autorin die Charaktere und mit feinen Beobachtungen und Bildern erwacht das Leben im Roman und am Kotti. Wenige Tage bleibt der Leser Zeuge der Geschehnisse an diesem Platz. Mit gekonnten Dialogen und den vernetzten Handlungsverläufen wird man immer mehr an den Roman gefesselt und möchte bei den wenigen Figuren verbleiben. Auch mit der Sprache spielt Julia Rothenburg passend zu der Handlung. Es gibt Sätze, die ins Leere verlaufen und in der Luft hängen bleiben, wie auch manche Menschen im Roman. Wir lernen Ario, den Stadtstreicher kennen, der noch relativ klar die Situationen in seinem Umfeld erfasst und den Beton des Platzes allen anderen Schlafplätzen vorzieht. Ihm begegnet ein Engel. Der Engel ist Aylin, die zwei verschiedene Verkäuferinnenstellen angenommen hat und sich Sorgen um die Zukunft macht. Sie jobbt bei Rewe und beim türkischen Gemüsemarkt von Mutlu. Mutlu ist ein alleinerziehender Familienvater, der ständig im Laden arbeitet und nebenbei auch seine Söhne Baris und Burak im Auge behalten möchte. Denn Baris träumt von einer Karriere als YouTube Star und als er sein Idol trifft, meint er seinem Ziel sehr nahe gekommen zu sein. Sein Bruder, Burak, läuft Gefahr, ins Drogenmilieu abzurutschen. Als die Kriminalität am Platz immer offensichtlicher wird, wollen die Alt-Linken Marianne und Günther zum erneuten Häuserkampf aufrufen und mobilisieren die anderen An- und Mitbewohner. Stanca, eine Rumäniendeutsche, die ständig wegen ihrer Mietschulden in Bedrängnis gerät, macht auf einem Spaziergang mit ihrem Dackel einen grausigen Fund und die Idee einer Bürgerwehr wird geboren. Sie wollen ihren „Kotti“ zurückerobern und von den kriminellen Machenschaften um den Platz befreien. Doch lauern noch ganz andere Abenteuer auf die Helden… Ein Roman, der sich langsam aufbaut, aber sich gerade dadurch immer fester im Lesenden verankert. Die Figuren erzeugen ein Suchtpotential und man folgt gebannt dem ganzen Handlungsverlauf und blickt dabei immer tiefer in die sozialen Milieus. Ein ganzer Platz erwacht zum literarischen Leben und mit ihm die fiktiven Menschen, die uns zeigen, wie porös unser Lebenskonstrukt sein kann. Erneut zeigt Julia Rothenburg nach „Koslik ist krank“ und „hell/dunkel“ auf unsere gesellschaftlichen Risse. Der dritte Beweis, warum ich Fan dieser Autorin bin.

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