Buchhandlung Almut Schmidt Kiel
Ein tolles Buch, das einen fesselt und durch den Wahrheitsgehalt gruseln lässt. Es beginnt wie ein guter Familienroman, der sich dann immer mehr zu einem dokumentarischen Thriller verwandelt. Alles ist sehr gekonnt vereint. Die zentralen Charaktere und deren Handlungsverläufe wurden in geschichtliche Ereignisse gesetzt und somit ist dieser Roman ebenfalls ein historischer Roman. Das umfangreiche Quellenverzeichnis belegt den Wahrheitsgehalt und die gute Hintergrundrecherche. Es ist ein Roman mit einem guten erzählerischen Bogen, der vieles vereint, dabei aber niemals die Grenzen der Belastbarkeit überschreitet und dadurch begeistert. Es sind drei Fotoalben, ein grünes, ein blaues und ein dunkelrotes. Diese werden durchgesehen und anhand der Bilder baut sich der Handlungsverlauf auf. Jedes Kapitel beginnt mit einer Fotobeschreibung die sich dann im folgenden Kapitel erklärt. Im Vordergrund steht dabei Rita Hellberg, die in das Abenteuer hineingerissen wird. Es sind die sechziger Jahre und der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser will seinem Land wieder zu Stärke verhelfen und strebt eine Unabhängigkeit an. Sein Slogan lautet dabei stets von der Nähnadel bis zur Rakete. Dies bedeutet, dass alles vom Kleinen bis zum Großen, im Land selbst gefertigt werden soll. Nur fehlt es noch an Spezialisten. Besonders Wissenschaftler, die sich mit Flug– und Raketenforschung auskennen. So wirbt der Präsident viele deutsche Ingenieure, Flugzeugbauer und Raketenforscher ab. Diese hatten in der Zeit des Nationalsozialismus unter anderem in Peenemünde für die Nazis Raketen und Flugzeuge gebaut. Durch die Entnazifizierung und Entmilitarisierung nach dem Krieg durften diese Arbeiten nicht fortgesetzt werden. Viele drängten dennoch darauf, ihre Projekte fortzusetzen und sahen nun in Ägypten ihre Chance. So ist auch der Vater der Heldin des Romans einer dieser sogenannten Experten. Friedrich Hellberg konstruierte Überschallflugzeuge und sieht seine Zukunft nicht in der wieder erlaubten Luftfahrtindustrie in Deutschland. Somit geht er mit seiner Frau und der jüngsten Tochter Pünktchen nach Kairo, um an Düsentriebwerken und Kampfflugmaschinen zu arbeiten. Rita ist noch Schülerin, wurde aber gerade des Internats in Plön verwiesen und will kurz die Familie in Ägypten besuchen. Der Bruder, der seine Freiheit und den Jazz liebt, bleibt in Hamburg, weil er sich nicht gut mit dem Vater versteht. Der Vater hat auch mit Rita seine Pläne und der eigentlich befristete Besuch war von vornherein anders durch ihn geplant. Rita soll in Ägypten bleiben, denn die Familie gehöre laut dem Vater zusammen. Der Sohn taucht bei dieser Berechnung gar nicht mehr auf. Rita bekommt kurzerhand eine Arbeit als Sekretärin im Team um den Wissenschaftler Wolfgang Pilz. Dadurch erlangt sie langsam immer mehr Einblick in die Machenschaften der „Experten“. Es ist mehr als ein normaler Thriller. Die richtigen Spannungselemente tauchen etwas später auf. Aber dennoch bekommt man beim Lesen von Anfang an oft eine Gänsehaut. Es sind die untergetauchten Kriegsverbrecher und Nazis, die sich als Experten in Ägypten tummeln, die einen das Grausen lehren. Sympathie erlangt Rita, die Heldin des Werkes. Sehr gekonnt verwebt die Autorin die fiktionale Geschichte mit den historischen Ereignissen. Rita macht ihre Entwicklung und nabelt sich nicht nur vom Elternhaus ab. Sie wird zu einem Geheimnisträger und muss lernen, sich zu entscheiden, wo sie im Leben steht. Gerade das Familienleben mit den polarisierenden Elternteilen beschreibt Merle Kröger sehr empathisch. Die eingestreuten Dokumente geben dem Buch eine Glaubhaftigkeit, die eher an eine gute Dokumentation erinnert. Ab dem blauen Fotoalbum und dem Auftauchen der Geheimdienste und dem Verschwinden von Menschen, wird das Buch immer mehr zu einem Thriller. Diesen Spagat zwischen dem fiktionalen und dem wahren – und selten erzählten – Kern der Geschichte beherrscht Merle Kröger großartig. Dieses Buch verdient eine uneingeschränkte Leseempfehlung und sollte von vielen gelesen werden.