letterrausch
Manchmal hat man einen ganz einfachen Anspruch an ein Buch: Unterhalte mich! Amüsiere mich! Oder wie im Fall von Paul Tremblays „Das Haus am Ende der Welt“: Grusele mich! Und dann reicht es aus, wenn ein Buch diesen Anspruch erfüllt. So wie in diesem Fall. Paul Tremblay, eigentlich studierter Mathematiker, hat sich einen Namen als Horrorautor gemacht. Aus seiner Feder stammen zahllose Kurzgeschichten, die in verschiedenen Magazinen veröffentlicht wurden, aber eben auch acht Romane. Für das 2018 veröffentlichte „Das Haus am Ende der Welt“ erhielt er den Locus Award. Die Filmrechte sind bereits verkauft (zu recht, bei der Lektüre stellt man sich die Handlung unweigerlich als Horrofilm oder Miniserie vor). Das Setting ist idyllisch: Eric und Andrew, ein schwules Paar aus der Großstadt, und ihre 8jährige Adoptivtochter Wen machen Urlaub in der amerikanischen Pampa. Sie haben ein Haus an einem entlegenen See gemietet und ihre Handys abgeschaltet. Es gibt keine Nachbarn und keine Nachrichten. Nur faules Herumsitzen und Lesen auf der Terrasse für die Erwachsenen beziehungsweise Grashüpfer fangen im hohen Gras für das Kind. Mit dem Kind startet auch der Roman. Tremblay führt den Leser ganz nah ran an Wen. Man soll sie mögen, wenn sie im Gras spielt und sich vorstellt, Naturforscherin zu werden. Und man mag sie! Deshalb ist man auch berunruhigt, als ein Fremder auf Wen zukommt und sich als Leonard vorstellt. Leonard ist eigentlich nett, aber trotzdem hat er dort nichts zu suchen – hat nicht so einfach mit diesem Kind zu sprechen. Schon hier stellt sich beim Leser das erste Unbehagen ein, das nur noch wächst, als sich herausstellt, dass Leonard noch drei Freunde mitgebracht hat. Die vier müssen unbedingt mit Eric und Andrew sprechen. Es geht um das Ende der Welt. An diesem Punkt entwickelt sich der Roman zu einer Home Invasion. Die vier dringen in die Hütte ein, fesseln die Männer und behaupten, dass einer von ihnen sterben müsse, um das Ende der Welt zu verhindern. Könnten sie sich nicht dazu durchringen, dieses Opfer zu bringen, müssten alle Menschen auf der Erde stattdessen sterben. Ab hier wird es also skurril. Wie kommen die vier auf diese Idee? Sind sie verrückt? Religiöse Fanatiker? Oder steckt vielleicht tatsächlich irgendein höheres Wesen hinter der ganzen Sache? Der Großteil des Romans beschäftigt sich damit, ob und wie Eric, Andrew und ihre Tochter entkommen. Gleichzeitig werden sie immer weiter in die Erzählung der vier Eindringlinge verstrickt. Denn wann immer sie sich weigern, einen von ihnen zu opfern, gibt es mal einen Tsunami und mal einen Flugzeugabsturz. Kann das wirklich Zufall sein oder sind das nicht vielmehr Vorboten des Weltuntergangs, so wie Leonard behauptet? Der Horror erwächst also aus dieser schier ausweglosen Situation, die Paul Tremblay auf über 300 Seiten penibel beschreibt. Dabei erspart er seinen Figuren (und dem Leser) kaum etwas: körperliche und psychische Gewalt, herausgeschlagene Kniescheiben, zwiespältige Charaktere und ein Handlungsort, von dem es kein Entkommen zu geben scheint. Gruselt es einen da? Definitiv! Bis auf Wen und Leonard scheint keiner der Charaktere mehr als ein Abziehbild zu sein (ich hatte bis zum Ende Probleme damit, Eric und Andrew auseinanderzuhalten) und der offene Schluss ist definitiv unbefriedigend. ABER: Der Roman ist gruselig. Sehr gruselig sogar. Man sollte ihn keinesfalls lesen, falls man sich gerade mit der Familie in einer einsamen Hütte mitten im Wald ohne Telefonempfang befindet. Nur so als Tipp … Der Schluss allerdings. Klar möchte man als Leser unbedingt wissen, was nun hinter dieser ganzen Geschichte steckt. Einbildung? Wahnsinn? Oder sind tatsächlich die vier apokalyptischen Reiter unterwegs, um das Ende der Welt einzuläuten? Warum dann aber ausgerechnet Andrew und Eric? Zufall oder Plan? Paul Tremblay hat sich dafür entschieden, Andeutungen zu machen, aber letztlich vage zu bleiben. Das ist schlussendlich enttäuschend, vor allem, weil es den Anschein erweckt, als wisse der Autor selbst nicht so recht, wie seine Geschichte zu erklären sei. Immerhin ist es eine Sache, wenn ein Autor dem Leser nicht alles ausdekliniert. Aber es ist eine ganze andere Sache, wenn man als Leser den Eindruck bekommt, auch der Autor hätte das mit der Deklination nicht so recht begriffen. Das riecht nach einer billigen Lösung und hat bei mir einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Das heißt für „Das Haus am Ende der Welt“: Ein Roman mit einem ganz starken Anfang, einer soliden Mitte und einem enttäuschendem Ende, bei dem man als Horrorfan aber doch reichlich Grusel für’s Geld geboten bekommt.