naibenak
Otto Kadoke, ein gefallener, jüdischer (aber nicht gläubiger) Psychiater in den Niederlanden, folgt aus Verzweiflung und Liebe seiner Ururgroßcousine Anat nach Israel in die besetzten Gebiete – in eine fundamental – zionistische Siedlung. Er nimmt seinen alten, kranken Vater mit, der sich sträubt, aber schließlich mit allem irgendwie abfindet. Kadoke wird dort als das „Wunder“ empfangen, für das viele gebetet haben, um mit Anat gemeinsam ein kinderreiche Familie zu gründen. Die streng gläubige Anat schreibt derweil eine Doktorarbeit in Mathematik über den Zufall und ist bereits einmal mit einem scheinbar impotenten Mann verheiratet gewesen. Es geschehen abstruse, groteske und schier unverständliche Dinge – schließlich überrascht das Ende kaum. Grünberg spricht in seinem Roman viele Themen der heutigen Zeit an: MeToo, mediale (Vor- ) Verurteilungen/ Shitstorms, den heutigen Umgang mit dem Thema Holocaust/ Judentum, den Nahost-Konflikt, fundamentalen Zionismus oder auch die Frage, wie sehr man sich „für die Liebe“ noch treu bleiben kann. Ihm geht es laut eigener Aussage jedoch nicht darum, hier auch insbesondere die fundamental zionistischen Siedlungen im Westjordanland, zu verurteilen; viel eher will Grünberg, dessen Schwester ebenfalls in einer solchen Siedlung lebt, sich dem Thema durch das Schreiben annähern und versuchen zu verstehen. Nun, das ist löblich, mir persönlich hat die Art und Weise dieser Annäherung jedoch viel zu oft unter der Gürtellinie gelegen. Grünbergs grotesker Witz, für den er scheinbar sehr bekannt ist, ist mir zu derbe und unangebracht. Ich habe kaum lachen können. Im Gegenteil – meinem Empfinden nach haut er hier mit seiner extrem schwarzhumorigen, zynischen Keule um sich und lässt kaum ein gutes Haar an diesen Siedlungen und Menschen. Nicht mein Ding… Einzig die Tatsache, dass die Hauptfigur Kadoke bis zuletzt an Anat und der Siedlung (trotz allem) festhält, deutet vorsichtig auf das Anliegen des Autors hin. Was mich aber von Beginn an wirklich fasziniert hat, ist eben diese Figur des Kadoke. Ich mag sie nicht – das gleich vorweg. Kadoke ist mir in Anbetracht der Umstände zu weich, naiv und farblos. Vorallem letzteres. Dennoch bin ich permanent neugierig auf die Entwicklung gewesen. Nur um schließlich wieder die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Hier habe ich den Eindruck im Nachhinein, dass es vielleicht doch sinnvoll gewesen wäre, den Vorgänger „Muttermale“ vorab auch zu lesen (was aber laut Autor nicht nötig sein soll). Einfach, um diese Figur besser verstehen zu können. Wer weiß… Grünberg kann erzählen, das muss ich auf jeden Fall eingestehen. Trotz aller widerlichen Szenen und humoristischen Tiefschläge, hat er es geschafft, mich bei der Stange zu halten. Auch findet man immer wieder Interpretationsmöglichkeiten – im kleineren (persönlichen/psychologischen) wie im größeren (politischen) Zusammenhang. Definitiv ein Buch, das nachdenklich macht und neugierig. Ein Buch, das nachhallt. Insgesamt aber auch ein sehr spezielles Buch, das mich oft an die Grenzen gebracht hat. Von daher kann ich es nur bedingt empfehlen.