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Buchdoktor

Posted on 7.6.2021

1962 infiziert der Facharbeiter einer Monschauer Firma nach einem Auslandseinsatz in Indien seine kleine Tochter mit Pocken. Obwohl die Firma "Rither" einen Vertrag mit dem Tropeninstitut hat und von der Montage ihrer Schmelzöfen aus dem Ausland heimkehrende Arbeiter routinemäßig untersuchen lässt, wirkt das Gesundheitssystem jener Zeit mit dem Fall überfordert. Das kleine Mädchen wird nicht die einzige Erkrankte bleiben. Wie genau die Ansteckung verläuft, scheint den behandelnden Medizinern unklar. Aus Düsseldorf wird der Dermatologie-Professor Stüttgen in die Eifel entsandt, um Behandlung und Quarantäne zu organisieren. Sein Assistent, ein Promotionsstudent aus Kreta, wird sich direkt um Patienten und Isolierte kümmern – in einem Sicherheitsanzug für Hochofenarbeiter. Nikolaos Spyridakis kann das Gehalt gut gebrauchen, der Professor, bei dem er promovieren wollte, ist wenig begeistert. Andere Ärzte hatten abgewinkt, außer Nikos will sich niemand dem Ansteckungsrisiko aussetzen. Der Konflikt zwischen Politik, Wirtschaft, deutscher Bürokratie und den Schicksalen Betroffener bricht augenblicklich aus. Die Firma Rither ist darüber hinaus mit einem klassischen Übernahmekonflikt konfrontiert. Die einzige Firmenerbin Vera Rither hat nach dem Tod ihrer Eltern kein Interesse am Unternehmen, studiert Journalismus und will den Betrieb in eine Stiftung überführen zugunsten der TU Aachen. Mit Vera, Nikos, Professor Stüttgen und Richard Seuss, dem angestellten Fabrikdirektor und Vormund Veras, stehen sich zwei Generationen gegenüber. Die älteren Männer sind kurz nach dem Ersten Weltkrieg geboren, waren Kriegsteilnehmer des Zweiten Weltkriegs, Nikos hat als Kind die deutsche Besetzung Kretas miterlebt, Vera ist gegen Ende des Kriegs geboren und sich vermutlich nicht bewusst, wie stark ihre Generation noch durch Kriegs- und Nachkriegszeit geprägt ist. Ihre Beschäftigung mit hehrer Kulturwissenschaft könnte als Mittel ihrer Generation interpretiert werden, sich von der Elterngeneration abzugrenzen. Als Waise, die finanziell unabhängig lebt und sich nicht mit direkten Familienangehörigen und deren Werten auseinandersetzen muss, ist Vera aus meiner Sicht eine eher flache Figur, weit entfernt von alltäglichen Problemen ihrer Generation. Die Vergangenheit der alten Herren ruht noch längst nicht und wird neben der offenbar unvermeidlichen Liebesgeschichte Vera/Nikos den Großteil des Romans ausmachen. Der Einstieg in den Ausbruch der Pocken 1962 war für mich hochinteressant, weil ich anders als über weitere Details aus den 60ern, darüber bisher nichts wusste. Den Alltag in einer Siedlung, in der nahezu jeder beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt ist und alle gleichermaßen vom wirtschaftlichen Überleben ihrer Firma abhängig sind, fand ich zeittypisch und treffend dargestellt. Leider verliert sich der Roman danach ausschweifend in Exkursen, die ich für die Atmosphäre der 60er weniger relevant finde. Nachdem mein Interesse am Inhalt abnahm, empfand ich Kopetzkys Stil pathetischer, verschnörkelter, verschwurbelter, als sollte Pathos fehlende Atmosphäre ersetzen. Die Konzentration auf die gebildete – männliche - Elite, die im Nationalsozialismus im Offiziersrang „diente“, unter Vernachlässigung der Frauen und derer, die im Betrieb und an der Front den Kopf hinhalten, tut Romanen selten gut. Frauen sind hier Fräuleins, Haushälterinnen, Ehefrauen mit Schürze, farblose, dienende Geschöpfe, was natürlich vorkam, aber das Jahrzehnt nicht repräsentierte. Wie bereits gesagt, finde ich Vera für ihre Generation zu glatt und zu autark, um mich als Figur zu interessieren. „Monschau“ gibt in Teilen Einblick in die Zeit des Wirtschaftwunders und kann eine Ahnung vermitteln, wie stark die Generation noch die 60er Jahre prägte, die zuvor den Zweiten Weltkrieg geführt hatte. Ob beim Aufeinandertreffen zweier Generationen zwangsläufig die Oberschicht der Mächtigen, Wohlhabenden und Halbgötter in Weiß dominieren muss, Frauen und die Menschen jedoch blasser bleiben, die Kopf und Gesundheit für die „besseren Leute“ hinhalten, wäre zu diskutieren. Zum Hörbuch Gesprochen wird das Hörbuch von Johann von Bülow, mit klarer, sonorer Stimme, in angenehm flottem Tempo. Der Sprecher deutet neben dem Eifeler Platt weitere Mundarten an; die weiteren Dialekte wären meiner Ansicht nach nicht nötig gewesen; denn die Wiedererkennung der Figuren sollte auch im Hörbuch durch ihre persönliche „Stimme“ möglich sein, ohne den lokalen Sound tatsächlich zu hören. Auch wenn für ein Hörbuch sehr viele Figuren zu Wort kommen, kann ich die Hörbuch-Version empfehlen.

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