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Wordworld

Posted on 4.6.2021

Nachdem mich Kelly Siskind schon mit ihrer letzten funkensprühenden, farbenfrohen und magischen Liebesgeschichte "Love Like Magic" überzeugen konnte, wollte ich natürlich auch unbedingt ihr nächstes Werk lesen. Und als dann der Klapptext "Moderne, weibliche Robin-Hood-Diebin trifft auf reichen Elvis-Presley-Tribute-Künstler" verkündete, war ich trotz vieler schlechter Bewertungen anderer Blogger sofort dabei. Nachdem ich die Geschichte nun gelesen habe, kann ich die sehr negativen Stimmen nur schwer verstehen. Genau wie Kelly Siskinds Debüt ist "Stealing Your Heart" zwar ein bisschen schräg, aber ansonsten sehr süß, sexy, überraschend spannend und durchweg sehr unterhaltsam. Das Cover ist genau wie die Geschichte: bunt, glitzernd, peppig, sehr schön anzusehen, aber mit eher wenig bleibendem Eindruck. Ich mag die blau-rosa Farbwirbel, den großen blauen Titel und die Glitzerwolken sehr, aber ein ausdrucksstarkes Motiv ist dieser mädchenhafte Traum nicht gerade. Hier fehlen mir einfach zentrale Motive, wie der Van Gogh, das Paar, die Taschenlampen, Theatermasken oder Weingläser, die auf dem Originalcover zu sehen sind. Die 29 Kapitel und der Epilog sind durch geschwungene Schrift verziert und abwechselnd aus der Sicht von Clementine und Jack geschrieben. Erster Satz: "Der Unterschied zwischen einem perfekt ausgeführten Raubzug und geschnappt zu werden liegt in der Planung". Zu Beginn lernen wir die gerissene, erdbeerblonde Clementine kennen, die zusammen mit ihrem Ziehvater Lucien, der sie von der Straße geholt und ausgebildet hat, wertvolle Kunstwerke und Wertgegenstände stielt, um den Erlös an wohltätige Zwecke zu spenden. Dass die junge Frau sich schon seit längerem einsam fühlt und Zweifel an ihrem Leben hat, wird klar, als sie für einen spektakulären Van Gogh ins beschauliche Whichway reist, einer Stadt im Elvis-Fieber, um sich als Teil der Festival-Jury in das Leben der stadtbekannten Familie David einzuschleusen. Schon zuvor hat sie ihre Unentschlossenheit unvorsichtig werden lassen - was sie mit einer gefährlichen Narbe an ihrem Bauch bezahlt hat. In Whichway passiert ihr aber der größte Fehler von allen: sie verliebt sich Hals über Kopf in Maxwell "Jack" David, der niemand anders ist als ihre Zielperson... "Das hier war keine Rolle mehr. Sie spielte ihm nichts vor. Alle Grenzen verwischten, ihre Verpflichtungen, diesen Job zu Ende zu bringen, war ebenso stark wie ihr Bedürfnis, das zu Ende zu bringen, was auch immer sie mit Jack begonnen hatte. Sie lehnte sich zu ihm, konnte Malz und Hopfen und Hitze in seinem Atem riechen. "Erzähl mir ein Geheimnis, Maxwell Jack David." Kelly Siskind, die uns ja schon in ihrem ersten Roman eine spannende Mischung aufgetischt hat, hat auch hier wieder eine ganze Palette an außergewöhnlichen Themen ausgewählt und zu einer bunten Geschichte verarbeitet. In ihrem Nachwort schreibt sie, dass sie eigentlich gar kein leidenschaftlicher Elvis-Fan ist, durch ein Elvis-Festival in ihrer Heimatstadt und ein Bericht in den Nachrichten über eine Familie, die nicht wusste, dass sie ein unsigniertes, unbezahlbares Kunstwerk besaßen, zu dieser Geschichte inspiriert wurde. Mixt man nun noch die daraus resultierenden Elvis-Tribute-Künstlern mit Haartolle, Hüftschwung und Glitzerjackett und das Robin-Hood-Thema mit der Vorliebe der beiden Hauptfiguren für Echsen aller Art - aber insbesondere für Bartagamen - und einer jeweils schwierigen Kindheit der Hauptfiguren, ergibt sich mal wieder eine total originelle, verrückte Mischung. "Alles lief (in Whichway) langsamer, bedeutungsvoller. Das Lächeln war echt. Die Hallos aufrichtig. Clementine hatte nie darüber nachgedacht, New York zu verlassen. Jetzt... wusste sie es nicht mehr. Wie wäre es wohl, sich hier in Whichway ein Nest zu bauen, seinen Kaffee im Who´s It Cafe zu schlürfen, im Wherever Park zu joggen, Bier im Whenever zu trinken und zwischendurch Apfeltaschen im Whatnot Diner zu essen?" Zu verrückt? Finde ich nicht. Viele Rezensenten haben "Stealing Your Heart" als "lächerlich", oder "abgedreht" kritisiert, ich würde aber eher "auf schräge Weise lustig" bevorzugen. Klar, es gibt einige Szenen, die (unfreiwillig?) komisch wirken und bei denen man sich nicht ganz sicher ist, ob die Autorin sie absichtlich leicht ins Lächerliche zieht, oder sie sich dieser Wirkung nicht bewusst war. Lässt man sich jedoch trotzdem auf die Geschichte und den leicht schrägen Humor ein, zieht diese Romantic Comedy schnell in ihren Bann. Denn ob nun gewollt oder nicht, das Resultat bleibt dasselbe: man muss beim Lesen ab und zu schmunzeln. Dazu passt auch der spritzige, fröhliche Schreibstil, der der Geschichte zusätzlich ein charmantes Augenzwinkern verpasst. Schön sind auch die leichten Cross-Over mit "Love Like Magic" - für Fans der Autorin sind also ein paar Easter Eggs eingebaut. Was mich also dazu veranlasst, eineinhalb Sterne bei der Bewertung abzuziehen, ist nicht die verrückte Note der Geschichte - im Gegenteil, "Stealing Your Heart" lebt gerade von dieser exzentrischen und doch liebendwürdigen Erzählweise -, sondern dass viele der hier verarbeitete Themen und Konflikte ihr volles Potential lange nicht ausschöpfen. Zwei attraktive Personen treffen sich, verlieben sich und werden durch Hindernisse aus ihrer Vergangenheit davon abgehalten, ganz zueinander zu finden. Um dieses vorhersehbare und nicht gerade neue Prinzip aufzupeppen, hat die Autoren neben ihrem Setting und den schon oben genannten ungewöhnlichen Details eine ganze Armada aus Konflikten erschaffen, die durch die Geschichte ranken. Das ist grundsätzlich eine gute Idee, um wirklich zu überzeugen, hätten diese Konflikte aber noch etwas pointierter sein dürfen. Sowohl Clementines Ringen mit ihrem Job, die Beziehung zu ihrem Ziehvater Lucien, Jacks Geld-Problem in seiner Firma, die Krankheit seines Vaters, oder seine Rolle im Festival hätten mehr Potential gehabt, gehen aber ein bisschen unter, um am Ende etwas lasch aufgelöst zu werden. Vor allem aber, wie sie sich Clementine und Jack gegenseitig füreinander öffnen ist eher holprig gemacht - die beiden erzählen sich immer wieder aus dem Nichts all ihre Geheimnisse und nehmen auf ihrem Weg fast alle Klischees mit, die ein New Adult-Pärchen abräumen kann. "Wag es nicht, dich vom Fleck zu rühren." Sie hatte nicht die Absicht, sich aus seinem Bett wegzubewegen. Aus seinem Haus. Seinem Leben. Solange ihre Vergangenheit keine Möglichkeit fand, sie wieder hineinzuziehen." Hier hat die Autorin wohl ein bisschen zu viel gewollt für ihre Geschichte. Die Hälfte der Baustellen hätte "Stealing Your Heart" besser gestanden - der Robin-Hood-Plot hätte locker ausgereicht, um die Geschichte zu tragen, dazu hätte nicht noch Jacks Firma am Abgrund stehen und beiden Figuren ein rivalisierender Antagonist auf den Hals gehetzt werden müssen. In dem ganzen Durcheinander der überraschend handlungsintensiven Geschichte, gehen die beiden Figuren leider etwas unter und wirken manchmal ein bisschen unentschlossen, wer sie sein wollen. Clementine präsentiert sich als taffe Diebin, stellt sich die meiste Zeit sehr laienhaft und naiv an und arbeitet nicht gerade, wie man es von einer geübten Diebin gewohnt wäre. Ihre Langezeitentwicklung zwischen "Opfer des Pflegesystems" und "Streiterin für den guten Zwecke" ist zwar interessant und man nimmt ihr ihre Unzufriedenheit und Einsamkeit auch ab, in den 400 Seiten tut sich aber zu viel, als dass man ihre Entwicklung vertiefen hätte können. "Clementine lachte. Ein richtiges Lachen. Frei und unbeschwert, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, in dieser Bar zu lachen, wo Ehemänner mit ihren Frauen Billard spielten und sie mit Pseudo-Freundinnen tratschte. Diese mühelose Realität war ihr Jetzt: ein unvorsichtiger Halt auf dem Highway, ein törichtes Ausplaudern ihres richtigen Namens, Lachen mit Frauen, die ihr irrigerweise vertrauten. Alles frivole Entscheidungen, jede davon, weil es sich in dem Moment gut anfühlte, ohne einen Gedanken an die Folgen. Sie wollte nicht, dass ihr Jetzt aufhörte." Auch in Jacks Figurenzeichnung zeigen sich ein paar Schwächen auf. Er schwankt während der Handlung stetig zwischen schüchternem Goodguy und dominantem CEO, zwischen früherem Mobbing-Opfer und heißem Elvis-Nachahmer - was spannende Pole hätten sein können, wenn diesen mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden wären. So wirkt er einfach ein bisschen widersprüchlich. Das Ende war dann zwar leicht "over the top" und in Grundzügen vorhersehbar, ich fand es aber insgesamt stimmig für diese schräge Geschichte und lange nicht so schlimm, wie viele andere RezensentInnen es empfanden. Ich bin also auch gerne bei ihrer nächsten Geschichte wieder am Start! Fazit: Eine schräge Romantic Comedy, die sich etwas in außergewöhnlichen Themen wie Elvis-Presley-Festival oder Bartagamen und einer ganzen Tonne an Konflikten verliert, dabei aber immer originell und unterhaltsam bleibt. 3,5 von 5 Sterne

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