emiliana
Astrid Lindgren, die laut DIE ZEIT „berühmteste Kinderbuchautorin der Welt“, engagierte Schutzpatronin aller Kinder und in ihrem eigenen Land ehrfürchtig als „das kulturelle Herz Schwedens“ angesehen, schrieb ihre Kinderbücher nach eigener Aussage für das Kind in ihr, schrieb sie so, wie sie sich ein Buch wünschte, wenn sie selbst noch ein Kind wäre – und trifft damit mitten in die Herzen ihrer jungen Leser! Sie hat die Erinnerungen und Gefühle aus ihrer eigenen glücklichen Kindheit, von Geborgenheit und Freiheit geprägt, bewahrt und durch ihre Erzählungen wiedergegeben. Ihre Romane, vor allem die, so ist zu mutmaßen, haben unser Bild von Schweden entscheidend geprägt, nämlich Sommeridylle mit roten Holzhäusern am Wasser. Und genau dieses Bild finden wir in dem hier zu besprechenden, im Jahre 1964 erschienenen Roman, von dem die 'Süddeutsche Zeitung' meint, dass er ohne Handlung auskäme, dass er einfach nur Sommergefühle auf einer Insel beschreibe, die zum Fischen, Baden, Umherstreifen und Träumen einlädt, von Freundschaft mit Menschen und Tieren erzählt. Keine Handlung also, wenigstens nicht so, wie man das aus den allermeisten anderen Kinderbüchern, inklusive der übrigen Werke der schwedischen Schriftstellerin gewohnt ist – aber was für ein ganz bezauberndes Buch wir hier in die Hand gelegt bekommen haben! Ein Buch, das tröstet, obwohl es zum Trösten gar nicht gedacht ist, ein zutiefst menschliches Buch, eines, bei dem gleichzeitig geweint und gelacht werden darf, bei dem alle Regungen dicht beieinander liegen und zugelassen werden dürfen, das eben nicht nur eine Idylle heraufbeschwört sondern auch kleines und größeres Unheil einbrechen lässt, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Dafür ist Tapferkeit gefragt – das weiß Astrid Lindgren genauso wie Malin, die große Schwester des kleinen Pelle, der untröstlich ist über den Verlust seines geliebten Kaninchens Jocke. Wie schon Michel aus Lönneberga und vielen anderen unvergesslichen Figuren der Schriftstellerin klar war, spürt auch Pelle, dass man stark wird, wenn man muss, dass man an den Hürden, die man manchmal zu überwinden gezwungen ist, wächst. Malin und Pelle sind das älteste und das jüngste Kind des verwitweten, von den Schwierigkeiten des Alltags häufig überforderten und nicht allzu praktischen Schriftstellers Melcher Melcherson aus Stockholm, der sich nichts sehnlicher wünscht, als seinen Kindern, zu denen noch Johann und Niklas gehören, ein guter Vater zu sein und ihnen eine Kindheit zu ermöglichen, die sie auch als Erwachsene nie vergessen sollen. 'Jeder Tag ein Leben' ist sein Motto – und wacker arbeitet er an dessen Umsetzung. Doch fühlt er sich oft unzulänglich, zweifelt an sich, hält sich ob der vielen Pannen, die unvermeidlicher Bestandteil seines Lebens sind, gar für einen schlechten Vater – was seine Kinder, die ihn ebenso lieben, wie er sie, vehement zurückweisen. Und diese Szenen, die sich wiederholen, sind sehr berührend zu lesen! Doch Melcher kann auch Tobsuchtsanfälle bekommen, die aber eher komisch wirken und sich nie gegen andere Menschen, schon gar nicht gegen seine Kinder, sondern immer nur gegen sich selbst richten. Dann muss die hübsche Malin, die nach dem frühen Tod ihrer Mutter nicht nur deren Stelle bei ihren Brüdern eingenommen hat sondern sich genauso auch um ihren Vater kümmert, die Wogen glätten – zur Freude der eigentlichen Hauptperson der Geschichte ohne Handlung, der kleinen Tjorven, die mit ihren Eltern, den Kaufleuten Grankvist, und den Schwestern Teddy und Freddy auf der fiktiven Insel Saltkrokan im Schärengebiet vor Stockholm lebt, auf der die Familie Melchersen – unbesehen! - das baufällige, aber sofort heißgeliebte 'Schreinerhaus' für einen unvergesslichen Sommer gemietet hat. Tjorven ist gut Freund mit allen Bewohnern der kleinen Insel, sie kennt jedermann und jedermann mag sie und hat ein freundliches Wort für sie, wenn sie mit ihrem riesigen Bernhardiner Bootsmann umherstreift. Mit Melcher ist sie sofort gut Freund, obwohl sie ihn mir ihrer ehrlichen und praktischen Art schon auch zur Verzweiflung bringen kann. Der Sommer ist lang, doch er vergeht wie im Fluge mit allerhand kleinen und großen Abenteuern, mit Seeräuberspielen, Angeln, Bootstouren – und für Malins Brüder mit der Beaufsichtigung ihrer Schwester! Jeder junge Mann, der sich der hübschen 19jährigen nähert, wird sofort vergrault, aus Angst, ihre Malin könne heiraten und sie verlassen! Doch wenn dann plötzlich der Traumprinz aus einem Boot steigt, sind auch die wachsamsten Brüder machtlos.... Genauso wie Melcher, als dieser erfährt, dass das geliebte 'Schreinerhaus', sein Synonym für die perfekte Kindheit für seine Sprösslinge, verkauft werden soll, ja dass der Verkauf schon so gut wie abgeschlossen ist. Doch da gibt es zum Glück noch den empfindsamen Pelle mit den überdimensionalen Antennen, seinen Jüngsten, und dessen findige Freundin Tjorven, die am Ende dafür sorgen, dass alles so kommt, wie es sein muss, auf dass das Paradies erhalten bleibe für viele, viele Sommer mehr! Und für Generationen von Kindern, die auch als Erwachsene gerne an 'ihre' Zeit auf Saltkrokan zurückdenken – sofern es ihnen gelungen ist, ihr inneres Kind am Leben zu erhalten!