Merle
“Call me by your name” in unproblematisch! Danke an NetGalley und den Hoffmann und Campe Verlag, die mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben. Meine Meinung ist davon unabhängig. „Im Wasser sind wir schwerelos“ ist so, wie ich mir „Call me by your name“ vorgestellt habe; nur halt in Polen statt Italien. Ein Sommerbuch, eine tragische Liebe, Erkundung der Sexualität zu einer Zeit, in der das zu Problemen führen könnte. Polen, 1980er. Ludwik lernt in seinem Ferienjob als Erntehelfer Janusz kennen und zwischen den beiden entsteht bald mehr als Freundschaft. Allerdings ist Homosexualität dort und damals verboten und nach dem Ende des Sommers müssen sich die beiden der Realität stellen... Der Schreibstil von Tomasz Jedrowski ist mir noch sehr lange in Erinnerung geblieben! Er schreibt so schön und poetisch, und findet perfekte Metaphern. Hier einmal zwei Zitate, die mich total begeistert haben: „[es] kommt mir jetzt der Gedanken, dass wir uns nicht ewig belügen können. Früher oder später werden wir gezwungen, uns ihrer Dunkelheit zu stellen. Wir können das Wenn wählen, nicht das Falls. Und je länger wir warten, umso schmerzvoller und ungewisser wird es sein.“ „[…] bevor die Einsamkeit mich umhüllte wie nachtblauer Teer“. Außerdem gab es mehrere Erwähnungen des Buches „Giovannis Zimmer“, was ich auch gelesen habe und gut fand; und thematisch passt es natürlich super, weil es auch in Giovannis Zimmer um eine tragische Liebe zwischen zwei Männern geht. Das Buch lebt einfach von seiner Atmosphäre und vermittelt so viele Gefühle. Die Beschreibungen der Landschaft, der Felder und des Wassers gibt mir den Eindruck, selbst mit dabei zu sein, beim Zelten im Wald, beim Rüben ernten, auf Studentenparties. An Gefühlen mangelt es leider etwas bei den Charakteren. Die bleiben an sich für mich etwas blass und manche Situationen zwischen Ludwik und Janusz sind zu schnell vorbei, um richtig Tiefgang zu entwickeln. Aber wie bereits erwähnt lebt dieses Buch einfach von seiner Atmosphäre. Das Ende ist so unglaublich passend, auch wenn es sicher nicht allen gefallen wird. Aber für mich passt es perfekt zu meinem Gesamteindruck des Buches. Wenn ich an "Im Wasser sind wir schwerelos" zurückdenke, dann denke ich an heiße Sommertage, verbotene Zweisamkeit und heimliche Zärtlichkeit, Frustration, Melancholie, Zerrissenheit zwischen Anpassung oder Austritt aus dem System des eigenen Landes. Eine wirklich romantische Liebesgeschichte ist das hier nicht, aber eine tragische und wahrscheinlich sehr realistisch... wie viele Personen mussten ihre große Liebe auf Grund ihrer Sexualität verstecken, und müssen es teilweise immer noch tun? Das Buch regt zum Nachdenken an. Ich vergebe 4 von 5 Sterne. Die Atmosphäre ist wirklich unglaublich toll, aber zwischendurch sind mir die beiden Protagonisten und ihre Emotionen zwischen den ganzen Metaphern und Beschreibungen zu kurz gekommen.