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gwyn

Posted on 3.6.2021

Eine Biografie der britischen Königin Mary I. als Graphic Novel. Man nannte die Tochter von Heinrich VIII. (Henry VIII) und Katharina von Aragon auch «Bloody Mary», da sie blutig die Rekatholisierung des Britischen Königreichs durchsetzen wollte, das sich bei Antritt ihrer kurzen Regentschaft 1553-1558 in desolatem Zustand befand. Aber schnell wurde aus der Lichtgestalt Mary Tudor, auch die Katholische genannt, «die Blutige». Von vorn: Als Mary Tudors Vater, Henry VIII., ihre Mutter, Katharina von Aragon heiratet, das jüngste Kind des Königspaares Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragonien, war es eine Heirat zum Zweck. Einerseits politisch und andererseits sollte ein männlicher Thronfolger aus der Ehe entstehen. Es ging aber nur ein Kind aus dieser Ehe hervor: Mary. Heinrich VIII. ist seine religiöse Frau schnell leid und er ist erzürnt, dass sie kein Jungen zur Welt bringt. Und er ist verliebt in Anne Boleyn. Der erste Teil des Comics beschäftigt sich mit Henrys Frauengeschichten, die nämlich lebensbedrohlich für Mary werden, die ein enges Verhältnis zur Mutter hat. Der Vater will die Ehe mit Katharina aufheben oder sich scheiden lassen. Die Mutter wird verbannt. Mary wird mit eigenem Hausstand in Ludlow Castle untergebracht, sie muss nun um ihr Leben fürchten. Der Papst erlaubt die Scheidung nicht. Henry trickst, kommt damit nicht durch – und hat plötzlich die erleuchtende Idee: Ich spalte mich von der katholischen Kirche ab und instituiere eine eigene! Er gründet die Anglikanische Kirche und stellt sich als Monarch dieser als Oberhaupt vor und entscheidet, dass die Ehe mit Katharina ungültig sei; er heiratet Anne Boleyn. Die Mutter verbannt, der katholische Glauben aufgehoben; Mary ist entsetzt, insbesondere, da sie mit ihrer Mutter nicht einmal brieflich Kontakt halten darf. Anne Boleyn schafft es, Mary aus der Thronfolge auszuschließen, ihr wird der Titel Prinzessin genommen, die Kronjuwelen muss sie abgeben. Ihre Mutter verstirbt, eine Vergiftung ist nicht auszuschließen. Und als Elisabeth auf die Welt kommt, wird Mary zurückbeordert, allerdings als niedere Zofe – ohne Privilegien, ohne eigenes Personal. Aus Angst um ihr Leben erkennt Mary die neue Kirche des Vaters an, behält aber ihren katholischen Glauben. Ihre Stiefmutter bringt keinen männlichen Erben zur Welt, erleidet nur Fehlgeburten und Henry bezichtigt sie des Ehebruchs, um sie loszuwerden; sie landet auf dem Schafott. Die Nachfolgerin Jane Seymour verhilft Mary wieder zur Zugehörigkeit zum Königshaus, zu einem eigenen Haushalt – allerdings ohne Eintrag in die Thronfolge. Der Thronfolger Edward wird geboren. Jane Seymour stirbt am Kindbettfieber. Anna von Kleve folgt als vierte Ehefrau, von der sich Henry nach kurzer Zeit wieder scheiden lässt. Die Fünfte, Catherine Howard, eine Cousine Anne Boleyns, einige Jahre jünger als Mary landet ebenfalls auf dem Schafott. Catherine Parr, die sechste und letzte Frau Henrys, verbessert Marys Lage am Hof und führt Vater und Tochter enger zusammen, Mary und Elisabeth werden wieder in die Thronfolge aufgenommen. Als Henry stirbt, erbt sein noch minderjähriger Sohn Edward den Thron. Er modernisiert die anglikanische Kirche nach lutherschem Vorbild: Aufhebung des Zölibats, die Predigt muss in Englisch verlesen werden, die heilige Messe und einige Feiertage werden abgeschafft. Edward wird krank und vermacht die Krone Lady Jane Grey, einer protestantischen Enkelin seiner verstorbenen Tante, weil er annimmt, seine Schwester Mary würde seine Reformen zurücknehmen – womit er recht behalten wird. Jane Grey bleibt nur ein paar Tage auf dem Thron, den Mary sich mit ihrer Gefolgschaft erkämpft, indem die London mit einem Heer einnimmt. Das Volk hält sie für die legitime Erbin und hofft auf eine Versöhnung im Land, das wirtschaftlich brach liegt. Mary aber führt den katholischen Glauben wieder ein, für den sie zeitlebens gekämpft hat, in Andenken an ihre Mutter. Zudem verheiratet sie sich mit dem Spanier, Philipp II. (Felipe II), den einzigen überlebenden legitimen Sohn Karls V. Gemäß dem Ehevertrag erhält Philipp zwar den Titel eines Königs von England, seine reale Macht ist jedoch auf die Funktionen eines Prinzgemahls reduziert, was ihm gar nicht gefällt. Mary konnte sich im Rat nicht durchsetzen. Aber sie ist gewillt, den Katholizismus durchzusetzen, mit aller Gewalt. Bereits ihr Vater hatte die Verbrennungen verboten, Mary führte sie wieder ein. Wer dem Katholizismus nicht folgt, wird als Ketzer gejagt. So wurden von den ca. 290 Opfern allein 113 in London verbrannt: Bloody Mary! Es macht die Taten nicht besser, wenn man versteht, welche Intension ein Machthaber hat, aber sie helfen zu verstehen, was das Leben aus einem Menschen macht. Als Mary verkündet, sie sei schwanger verschwindet der Ehemann nach Spanien. Doch es ist eine Scheinschwangerschaft, eine weitere folgt. Vielleicht sind es die Vorboten ihrer Krankheit, die bald zu ihrem Tod führt. Ihre Schwester Elisabeth I. folgt, die die anglikanische Kirche wieder einsetzt, ebenso die Reformen ihres Bruders Edward. Unter Eduard VI. sowie Elisabeth I. wurden Katholiken verfolgt und hingerichtet – aber nicht verbrannt. Und dann gab es ja auch noch Mary Stewart – aber das ist eine andere Geschichte ... Mary, eine tragische Gestalt, geprägt in ihrer Kindheit. Kristina Gehrmann gelingt es, diese Stationen in Marys Leben komprimiert zusammenzufassen: Die Mutter, Intrigen, die Ehen des Vaters und deren Auswirkungen auf die Kinder, Glaubenskriege, den Umbruch in eine neue Zeit. Diese Graphic Novel zeigt eindrucksvoll diesen Teil der Tudor-Zeit. Um den Comic-Dialog zu bereichern, werden auch Schriften und Briefe eingearbeitet. Die Autorin lässt Mary Tudor ihr ereignisreiches Leben aus ihrer Sicht selbst erzählen. Mary wird als Mensch dargestellt, nicht als trockene historische Figur. Das macht die Erzählung spannend. Ein Kind der Mutter beraubt, eine Jugendliche, junge Frau, die zeitlebens um den eigenen Kopf fürchten muss. Eine energische Frau, die sich nicht brechen lässt, immer ihrem Glauben folgt, die sich aber auch ständig fügen muss. Die Grafiken sind sehr atmosphärisch gestaltet. Zeichnerisch setzt die Autorin die damalige Zeit gut um: Architektur, Möbel, Mode usw. Insgesamt sind die Zeichnungen stimmungsvoll angepasst an die jeweilige Situation. Lediglich die Figuren sind mir ein wenig leer und einfach strukturiert, hier hat mir persönlich die Autorin zu flach gearbeitet. Kristina Gehrmann arbeitet nicht mit Zeichenstift wie üblich, sondern zeichnet auf dem iPad. Sind sie Grafiken fertig, druckt sie diese auf Aquarellpapier aus und koloriert sie mit Tusche. Die Technik wird am Ende erklärt. Insgesamt eine gut gelungene Darstellung der Bloody Mary – ein historisch gut aufgearbeiteter Comic, der komprimiert die Zeit von Henry VIII bis zur Regentschaft von Mary Tudor darstellt, die erste Königin Englands, die diesen Titel nicht durch Heirat erwarb. Kristina Gehrmann, geboren 1989 in Leverkusen, lebt heute als Illustratorin in Hamburg. Nach dem Abitur 2008 studierte sie an der Angel Academy of Art in Florenz klassisch-akademische Zeichnung und Malerei. Seit 2012 lebt und arbeitet sie als freiberufliche Illustratorin in Hamburg. Ihre erste Comic-Veröffentlichung, die Graphic-Novel-Trilogie «Im Eisland», handelt vom Schicksal der verschollenen Franklin-Expedition und geht der Frage nach, wie und warum diese in einer Tragödie endete. Der erste Band wurde 2016 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte Sachbuch ausgezeichnet. Auch ihre Adaption von Upton Sinclairs sozialkritischem Roman «Der Dschungel» spiegelt Kristina Gehrmanns Liebe zu spannenden historischen Stoffen. Als 2019 die US-Augabe dieses Buches erschien wurde sie in The New York Times, The Guardian und The NY Journal of Books hoch gelobt. «Der Dschungel» ist nicht irgendein Roman, und diese Comic-Künstlerin exakt die richtige, Upton Sinclair einer nächsten Generation wieder näher zu bringen.», schrieb Dr. Brigitte Helbling, in ihrer Laudatio der Berthold Leibinger Stiftung. Auf «Bloody Mary» folgt demnächst eine Graphic Novel zur Geschichte von Marys Halbschwester und Nachfolgerin Elisabeth I.

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