Profilbild von michael_b_m

michael_b_m

Posted on 2.6.2021

Hommage an „Die große Zelda“ im Schatten des literarischen Genies Wer kennt ihn nicht, Francis Scott Key Fitzgeralds weltberühmten „Der Große Gatsby“. Mit seinen Protagonisten Daisy, Tom, Jay, Jordan, George und Myrtle, einer Reihe von Nebencharakteren sowie dem Erzähler Nick stellt der Roman eines der bedeutendsten Werke der amerikanischen Literatur und eines der wichtigsten Gesellschaftsporträts der Nachkriegsjahre nach dem ersten Weltkrieg dar. Insbesondere in den USA ist es die Zeit der Prohibition, der „Roaring Twenties“, des „Jazz Age“, der „Lost Generation“ und natürlich auch der „Flappers“, die mit viel Selbstbewusstsein, ihren ersten Emanzipationsversuchen und ihrer Mode eine ganz eigene, neue Lebensphilosophie etablieren wollen. Eine der herausragendsten und schillerndsten Persönlichkeiten dieser Epoche ist die Stil-Ikone und Frau des großen Schriftstellers - Zelda Sayre Fitzgerald. Sie ist die Hauptfigur in Joséphine Nicolas‘ Erstlingswerk „Tage mit Gatsby“, in welchem uns die Autorin sehr faszinierend und emotional mitreißend die Zusammenhänge und Hintergründe zur Entstehungsgeschichte des „Großen Gatsby“ näher bringt. Joséphine Nicolas lässt dem Leser dabei auf allerhöchstem sprachlichen Niveau die gesamte Handlung so authentisch und lebensnah aus Sicht von Zelda Fitzgerald erzählen, dass man das Gefühl bekommt, ständiger Begleiter Zeldas zu sein, Zelda direkt zuzuhören und auch an ihren Gedanken und Emotionen teilzuhaben. Der Sprachstil wurde dazu perfekt an die „Zwanziger“ adaptiert; sämtliche Orte, an denen sich die Fitzgeralds damals aufhielten, wurden von der Autorin aufgesucht, um sich noch besser in ihre Charaktere hinein versetzen zu können. Das Buch beginnt mit der Widmung „Once again to Zelda“, gefolgt von einem Zitat Francis S. Fitzgeralds, in dem er Zweifel äußert, ob Zelda und er überhaupt real seien oder vielmehr Figuren in einer seiner Geschichten. Es wird genau diese interessante Frage sein, die sich der Leser am Ende des Buches im Hinblick auf die Vorlage „Der Große Gatsby“ auf die eine oder andere Art ebenso stellen wird. Wir erfahren im Verlauf des Buches, wie sich die beiden gegen die Einwände von Zeldas Familie kennen und lieben gelernt haben, wie Zelda aus dem Elternhaus ausbricht, (nach Scotts Ideen) zum „Flapper“, Party- und It-Girl geformt wird, gleichzeitig aber auch Scotts Muse und engste Beraterin ist. Skrupellos bedient Scott sich der Ideen und Emotionen in ihren Tagebüchern und ihrem Alltagsleben, veröffentlicht teils mit, teils ohne ihre Zustimmung Zeldas Texte. Darüber hinaus versucht er Zeldas Talent zum Schreiben kleinzureden und sie am Veröffentlichen ihrer eigenen Literatur zu hindern. Die beiden lieben sich, die beiden hassen sich; sie können nicht ohne einander, aber genauso wenig miteinander – es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Hassliebe. Wir erfahren von Alkoholexzessen, unzähligen Partys, Ehekrisen, Fremdgehen, Geldnot, Scotts Schreiben von Kurzgeschichten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes, Treffen und Flirten mit allerlei Prominenz jener Epoche, der Reise von den USA nach Paris, weiter nach Südfrankreich (hierzu wurde auch das wunderschön passende Buchcover gewählt), nach Rom und Capri und wieder zurück in die USA. Wir lesen auch vom französischen Piloten Jozan, der Zelda das Herz bricht und sie in eine tiefe Krise stürzt. Schließlich hören wir auch von Zeldas und Scotts kleiner Tochter Scottie, die zeitweise in kleinen Hotelzimmern zwischen Alkoholflaschen und Exzessen oder bei befreundeten Familien aufwächst, vorwiegend von der Nanny betreut wird und von ihren überforderten Eltern nie die Aufmerksamkeit und Liebe bekommt, die eine Zweijährige unbedingt benötigt. Und zu guter Letzt erfahren wir auch von Scotts und Zeldas bitterem Ende. Grandios gelingt es Joséphine Nicolas die gesamte Handlung zusammen mit der damit verbundenen Gefühlswelt dem Leser, eingefärbt durch Zeldas Blick auf das Geschehen, sehr glaubhaft und authentisch zu vermitteln. Gleichermaßen erkennt der Leser, wie Scott Fitzgerald sein gesamtes Umfeld detailliert beobachtet und instrumentalisiert, sich die Emotionen und Eigenschaften aller zu Nutze macht und all das auf wunderbarste Weise in seine Geschichten zu integrieren vermag. Selbst die vernachlässigte kleine Scottie wurde von ihm in seinen Roman übernommen. Zum Abschluss wartet „Tage mit Gatsby“ dann auch noch mit einem beeindruckenden Epilog auf, der sich tief in die Erinnerungen des Lesers eingräbt. Fazit: Mit ihrem Debüt-Roman hat Joséphine Nicolas sicherlich einen der aktuell allerbesten deutschsprachigen Romane geschrieben, der den Leser vom Anfang bis zum Ende mitreißt und in dessen Geschichte Realität und Fiktion ideal miteinander verwoben sind. Sprachlich, informativ und emotional ist „Tage mit Gatsby“ auf allerhöchstem Niveau. Wer „Der große Getsby“ mag, wird „Tage mit Gatsby“ lieben. Nach Joséphine Nicolas Roman liest man den „Großen Gatsby“ nochmal mit einem ganz neuen und frischen Blick auf das dortige Geschehen, möglicherweise ja sogar durch die Augen des mysteriösen Dr. T. J. Eckelburg. Für mich persönlich zählt „Tage mit Gatsby“ bereits jetzt zu den absoluten Lesehighlights des Jahres 2021.

zurück nach oben