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trinschen

Posted on 1.6.2021

Die Senorita Prim hat mich Weihnachten in einem öffentlichen Bücherregal angelächelt, wenn eine Bibliothekarin die Hauptfigur eines Buches ist, dann kann ich nicht nein sagen. Auf dieses Buch muss man sich einlassen, denn es bricht ein wenig mit den gewohnten Perspektiven. Alle Charaktere werden aus der Sicht einer dritten, außenstehenden Person betrachtet. Man wird als Leser*in weiter auf Distanz gehalten, indem bei vielen der Hauptcharaktere statt mit ihrem Namen nur mit ihrem Beruf oder einer Eigenschaft benannt werden. Prudencia Prim, die Hauptfigur ist zum Beispiel fast das ganze Buch über „die Senorita Prim“ oder „die Bibliothekarin“, ihr Chef „der Mann im Armsessel“. Wirkliche Nähe kommt zu den Figuren aber nicht auf, auf wenn es gerade bei Prudencia Prim gefühlsmäßig ein ständiges Auf und Ab ist. Ganz rund ist ihre Figur auch nicht: Während sie einerseits die Ehe vehement ablehnt, weil sie sich nicht in ihrer Freiheit einschränken lassen will, ist sie einige Zeit später doch sicher, dass ihr ein Ehemann fehlt, damit sie glücklich ist. Angekommen in ihrem neuen Job muss Prudencia erst mal entschleunigen, denn in dem Buch läuft alles ein bisschen anders ab. Alles ist langsamer als in der Stadt und zumindest aus der Sicht des Erzählers haben scheinbar die Frauen des Dorfes bzw. der Kommune das Zepter in der Hand. Männer spielen bis auf wenige Ausnahmen keine Rolle. Der ungewöhnliche Erzählstil hat mich gefesselt, so dass ich das Buch ziemlich zügig gelesen habe. Fasziniert haben mich auch die starken Frauen des Dorfes, ihre Unabhängigkeit von den Männern und das Selbstverständnis, mit dem jede anfallende Aufgaben übernimmt. Trotzdem habe ich am Ende das Gefühl gehabt, dass ich nur eine Ebene des Buches gelesen und verstanden habe und dass in den Handlungen der einzelnen und den Routinen der Dorfgemeinschaft (es gibt zum Beispiel immer Kuchen, Kekse, Tee und Kakao, wenn man sich trifft) viele Metaphern verborgen sind, die mir entgangen sind. Das Geheimnis des Mönches hat sich mir zum Beispiel nicht erschlossen und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das Ende richtig interpretiert habe. Trotzdem kann ich das Buch allen weiterempfehlen, die eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, Literatur, Philosophie und Freundschaft in einem bunten Mix mögen.

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