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letterrausch

Posted on 30.5.2021

In Brandenburg gibt es wenig Menschen und viel Platz. Perfekte Voraussetzungen eigentlich, um alles mit Windkraftanlagen vollzupflastern, damit die Hipster in Prenzlauer Berg ihre E-Autos aufladen können. Doch von den wenigen verbliebenen Menschen im Brandenburger Hinterland sind nicht alle so begeistert davon, dass ihre schöne Landschaft verspargelt werden soll. Und davon erzählt Juli Zeh in „Unterleuten“. Eigentlich in Bonn geboren und aufgewachsen, lebt Bestsellerautorin und Feuilletonliebling Zeh schon seit fast fünfzehn Jahren im Havelland. Wenn sie als „Zugezogene“ also einen Roman über Brandenburg schreibt, kann man einerseits erwarten, dass sie ihr Sujet kennt, aber eben auch, dass sie es mit einer gesunden Distanz betrachten kann. Diese Erwartung erfüllt sie meiner Meinung nach in „Unterleuten“, leider reicht das längst nicht für einen guten oder auch nur unterhaltsamen Roman. Die über 600 Seiten des Romans teilen sich in zwei Teile, die für mich nicht zu einem sinnvollen Ganzen zusammenpassen wollen. Juli Zeh lässt sich am Anfang viel – sehr viel – Zeit dafür, dem Leser das Setting und die darin agierenden Personen vorzustellen. Wir erfahren die komplette Lebensgeschichte jedes Einwohners von Unterleuten, der später irgendwie eine Rolle spielen wird. Dabei macht sie ein wirklich großes Panorama auf – von der Landreform nach dem Zweiten Weltkrieg über die LPG, die die DDR-Jahre im Dorf geprägt hat, bis hin zum landwirtschaftlichen Betrieb nach der Wende, der der Bevölkerung Arbeit gibt. Gefallen haben mir durchaus einige der Beschreibungen und ihr genauer Blick, wenn sie zum Beispiel davon spricht, wie die Alleebäume von der Straße weg wachsen. Leider verwendet sie Seite um Seite darauf, mit kleinteiligen Beschreibungen nichts anderes als Klischeefiguren zum Leben zu erwecken. Da hätten wir den verbitterten Alten (heute würde man ihn Querdenker nennen), den Gutmenschen-Bürgermeister, die Wessi-Heuschrecke, den Typen, der überall seine Finger drin hat, den leicht beschränkten Schlägertypen mit dem Herzen aus Gold, den zugezogenen Vogelschützer und eine toughe Pferdefrau aus dem Oldenburger Land. Von jeder „Type“ gibt es nur ein Exemplar, mehr wäre wohl Verschwendung gewesen. Juli Zeh positioniert mit großer Sorgfalt ihre Figuren auf einem imaginären Schachfeld, das sie – so vermutet der Leser – dann so bespielen werden, wie es die ausufernde Exposition verlangt. Doch weit gefehlt: Dafür, dass sie jede ihrer Figuren poliert und mit ganz viel Brimborium auf den ihr zugewiesenen Platz gestellt hat, ist das daraufhin folgende Schachspiel eher enttäuschend. Es entspricht auch nicht wirklich den Regeln des Spiels – um in diesem Bild zu bleiben –, denn Juli Zeh beginnt einen realistischen Roman und endet dann irgendwann in einem abgehobenen und völlig verqueren Wolkenkuckucksheim, von dem ich nicht hoffe, dass es irgendjemand für reale Brandenburger Verhältnisse hält. Sie lässt eine ihrer Figuren zwar sagen: „Wir sind hier nicht im Wilden Westen“, gibt sich dann aber sehr viel Mühe damit, genau diesen Wilden Westen nach Unterleuten zu holen. Es wird intrigiert, hintergangen, zusammengeschlagen, umgefahren und entführt, als wäre man bei einer Folge „House of Cards“. Eigentlich fehlt nur noch der Schusswaffengebrauch. Warum Zeh ihren realistischen Anfang in einen unsinnigen Thriller abdriften lässt, sodass letztlich auch ihre Figuren sich charakterlich selbst untreu werden, hat sich mir nicht erschlossen. Und auch der Aufhänger, nämlich die Windräder, sind letztlich nur ein Plot Device, um dem Leser ein wohliges Schaudern über den Rücken zu jagen bei der Erkenntnis, dass selbst im kleinsten, idyllischsten Dorf bei Berlin tiefste Abrgünde lauern. Für mich hat diese ganze Versuchsanordnung nicht gezündet. Fand ich die Personenbeschreibungen anfangs noch ganz unterhaltsam, lief sich auch das spätestens bei der zehnten Beschreibung von Linda der Pferdefrau tot, die mit Männern umgeht wie mit der Hackl Bernd mit Problemhengsten – nicht zurückweichen und nicht blinzeln. Dass eine Figur dann urplötzlich Wahnvorstellungen oder eine Psychose oder beides entwickelt und die ganze Windradgeschichte in einem Selbstmord kulminiert, der selbst mir als Horrorfan ein Schauern verursacht hat, ist dann nur noch das Sahnehäubchen auf dem unsinnigen Plot. Nach mehreren Versuchen mit Romanen von Juli Zeh drängt sich bei mir zunehmend der Verdacht auf, dass sie schlicht als Autorin überschätzt wird. Es gibt so viele bessere und interessantere Autoren, die man lesen könnte, sowohl wenn man sich für Gesellschaftsromane interessiert als auch, wenn man es auf die Thrillerelemente abgesehen hat.

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