Susanne Matiaschek
Bei “Wer zuletzt lügt” bin ich warum auch immer, von einem Thriller ausgegangen. Vielleicht weil der Titel und auch das Cover bezeichnend sind. Vielleicht weil man gewisse Erwartungen diesbezüglich hat. Und dabei steht nichts von einem Thriller auf dem Cover. Es wird jedoch angepriesen mit: “Ein fesselnder Psychothriller, auf wechselnden Zeitebenen erzählt – bald weißt du nicht mehr, wem du noch trauen kannst …” Und das trifft es in meinen Augen, einfach perfekt auf den Punkt. Es ist eine Mischung zwischen Drama, Obsession, Selbstfindung und der Erkenntnis, dass man niemanden wirklich kennt. Niemand wirklich kennen kann. Denn jeder hat seine Geheimnisse. Ob nun zum eigenen Schutz oder Schutz für andere, aber sie sind da und dürfen niemals ans Licht kommen. Der Einstieg in die Story fiel mir zunächst gar nicht mal so leicht. Er war unnahbar, trocken, melancholisch und man fühlte sich dabei, als wäre man ein stiller Beobachter. Und trotzdem. Obwohl ich dadurch anfangs Schwierigkeiten hatte, so ist es dennoch genau richtig. Denn anders hätte sich diese Geschichte nicht so intensiv und bahnbrechend entfalten können, wie sie es letztendlich getan hat. Denn gerade dadurch kommt die Verletzlichkeit und Verlorenheit sehr gut hervor. Der Schreibstil der Autorin hat mir jedoch unglaublich gut gefallen. Einnehmend, fesselnd und mitreißend. Es entwickelte sich ein Sog, dem ich mich nicht mehr entziehen konnte. Obwohl die Spannung eher unterschwellig spürbar war. So gab es in den Tiefen der Stille so unsagbar große Kämpfe und dramatische Augenblicke. Es ist unheimlich schmerzhaft und tragend zugleich, wenn man glaubt jemanden zu kennen und es dann doch nicht tut. Was sagt das über die Verbindung zueinander aus? Es zerbricht etwas in einem ,weil man das Gefühl hat, nicht genug zu sein. Nicht wichtig zu sein. Man verliert sich völlig und befindet sich auf einem aussichtslosen Kampf, der das eigene Ich nur noch mehr zerstört. Bis man am Ende erkennt, dass man einfach keine Kraft mehr hat. Wahrheit und Lüge verschwimmen immer mehr ineinander, bis man das eine von dem anderen nicht mehr unterscheiden kann. Wir erfahren hierbei alles aus Fionas Sicht. Ich hatte zu ihr ein sehr zwiespältiges Verhältnis. Denn einerseits lässt sie Nähe nicht zu und zum anderen hat mich ihre Geschichte einfach nicht losgelassen. Fiona hat alles wovon man nur träumen kann. Sie ist beliebt, Cheerleaderin, verliebt in einen Footballstar und sie liebt ihr Leben. Bis eine Lebensmittelvergiftung und eine neue Freundschaft alles auf den Kopf stellen. Sie macht einen Cut und dadurch zersplittert ihr Leben komplett. Man hat das Gefühl, Fiona verliert sich völlig und sie kann einfach nicht mehr genug sein. Und plötzlich gibt es zwei Vermisstenfälle und Fiona möchte wissen, was mit ihrer besten Freundin passiert ist. Aber die viel wichtigere Frage: Wer ist Diona wirklich? Obwohl Fiona als Erzähler sehr im Fokus steht, so konnte ich mich auch sehr gut in die anderen Charaktere hineinversetzen. Sie haben alle eine Geschichte und je tiefer man gräbt, umso mehr erkennt man, dass die schöne Fassade nur Schall und Rauch ist und sich dahinter nichts als Unsicherheit und Unzulänglichkeiten verbergen. Darüber hinaus erhalten manche Verbindungen einen ungesunden Beigeschmack. Freundschaft und Nähe wird zur Obsession und plötzlich ist nicht mehr in erster Linie wichtig, die Wahrheit herauszufinden. Plötzlich ist viel wichtiger, dass man sich mit diesem Verhalten nicht selbst zerstört. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wohin mich das alles führen würde. Es war sehr beklemmend, verstörend, was für manische Züge es annahm. Denn je weiter man Schritt, umso heftiger und tragender wurde das Ganze. Man hat das Gefühl, Fiona versuche verzweifelt Halt bei Trixie zu finden, weil es sonst nichts mehr gab, woran sie Halt finden konnte. Alles ging bergab und löste sich auf. Und das trifft auch auf die Charaktere zu. Die immer mehr eine komplette Wandlung vollziehen. Dabei war auch der psychologische Aspekt sehr bezeichnend. Denn irgendwo in den Tiefen hatte man sich verfangen und konnte einfach nicht mehr auftauchen. Jeder misst sich am Leben des anderen,aber niemand ist sich selbst genug. Das hat etwas Verlorenes, Unwiderrufliches und Zerstörerisches an sich, das einfach nicht gesund sein kann. Die Zeitsprünge fand ich enorm interessant und vielschichtig, weil man so nicht nur die Hintergründe beleuchtet hat, sondern auch mehr über die Charaktere erfahren hat. Dabei bindet die Autorin auch sehr wichtige Themen mit ein, die nicht nur wichtig sind, sondern auch in diesem Alter Gefahren darstellen. Es ist so leicht, sich in diese Abwärtsspirale zu begeben und sich völlig zu zerstören und niemand ist da, der dich hält und beschützt. Der dir Hoffnung, Glück und Nähe schenkt. Das Ende bietet keinen Knalleffekt. Gibt aber genau das wider, was es geben sollte. Es ist nachvollziehbar, authentisch und einfach sehr gelungen. Auch wenn es völlig anders war, als erwartet, so haben mich die Tiefen dahinter doch sehr beeindruckt und nachdenklich zurückgelassen. Fazit: "Wer zuletzt lügt” mag nicht das sein, was ich erwartet habe. Aber in meinen Augen ist es dennoch unglaublich gut gelungen. Wer jedoch Tempo und Nervenkitzel erwartet, wird vergeblich danach suchen. Dennoch ist es sehr nervenaufreibend und erschütternd. Die schöne Fassade bekommt immer mehr Risse, bis sie sich vollends auflöst. Es ist eine Mischung zwischen Drama, Obsession, Selbstfindung und der Erkenntnis, dass man niemanden wirklich kennt. Wahrheit und Lüge verschwimmen immer mehr ineinander, bis man das eine nicht mehr von dem anderen trennen kann. Laurie Elizabeth Flynn gelingt ein spannendes Psychogramm verschiedener Charaktere, sie dringt dabei bis in die Tiefen ihres menschliches Seins hervor. Schmerzhaft, beklemmend und zutiefst bewegend. Eine beeindruckende Story,die mich nachdenklich zurückgelassen hat.