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Der Anfang: «Die Saracina erstreckte sich stolz bis ans Meer. In der Mitte des weitläufigen Grundstücks stand ein massives Haus, versehen mit einem Laubengang aus schlanken Säulen, alles ganz weiß wie der Schleier einer Jungfrau umgeben von Blumen und blühenden Bäumen in Jasminduft gehüllt und gekrönt vom Geflatter schneeweißer Ringeltauben.» Wenn jemand meint, hier erwarte ihn so etwas wie ein sizilianischer Pilchertraum, den muss ich enttäuschen. Italienische Komödie nach alter Schule, humorvoll erzählt und kommentiert von einem Erzähler, wohl eher einer Erzählerin: Ein Dorf in der Macht des Patriarchats, angeführt von seiner Majestät Pallante, dem Bürgermeister und Oberschuft in diesem Dorf. Auf der anderen Seite Frauen, die sich hinter Agata formieren, und so ganz nebenbei den Männern klarmachen, dass man sehr gut ohne sie auskommen kann. «Denn man lebt von der Politik, meine Herrschaften, und der Sessel klebt einem erbarmungslos am Hintern. Man lebt von diesem Sessel, meine Herrschaften, der Sessel ernährt einen. Mit dem Sessel bescheißt man und erweist Gefallen. Die eigenen Kühe werden fett, die der anderen verrecken. Vom Sessel aus stiehlt man, meine Herrschaften, und stehlend geht man auf diesem Sessel in den Knast, in dem alle Diebe landen, denen kein Sessel am Arsch klebt.» Mitte der neunziger Jahre, Agata und ihrem Mann Costanzo gehört der Tabakwarenladen im Dorf. Sie wohnen auf einem weitreichenden Grundstück mit Meeresblick, ein Haus mit großem Garten umrankt von Orangen- und Zitronenbäumen: die Saracina. Das Leben könnte schön sein, wenn nicht seine Exzellenz, wie man den Bürgermeister anzureden hat, die wundervolle Saracina in eine Mülldeponie umwandeln wollte. Er droht Costanzo an ihn zu enteignen, doch der lacht den Bürgermeister nur aus, will nicht verkaufen. Nun muss man auch wissen, dass hinter dem Bürgermeister die ehrenwerten Herren um Don Totò stehen, und somit fast jede Schweinerei möglich ist. Plötzlich stirbt der Tabacchere unerwartet an einem Herzinfarkt. Seine Witwe, die wunderschöne Agata ist nun das Ziel seiner Exzellenz Pallante, den man auch occhi janchi nennt. Er hat einen teuflischen Plan, den er seiner Junta darlegt: Die Saracina und der Tabakladen werden abgebrannt, Agata von allen vergewaltigt und dann auf den Strich geschickt. Dieser Plan bleibt aber nicht geheim, nicht jeder kann den Mund halten. Und Gerüchte entstehen in diesem Dorf täglich. Sobald jemand seinen Fuß vor die Tür setzt, wird getratscht, was das Zeug hält. Es gibt eine herrliche Stelle in diesem Roman, als eine Frau sich mit Lehrer Scianna unterhalten will. Das geht aber nicht öffentlich, weil sofort ein Gerücht entstünde und so verabredet man sich in der Kirche. Der Pfarrer ist unterwegs und der Beichtstuhl ist die perfekte Tarnung für ein Gespräch. Doch dumm für Scianna, draußen hat sich bald eine Schlange gebildet, und der Lehrer muss sich eine Menge Sünden anhören und Ratschläge verteilen ... «Seine Exezellenz kehrte zurück. Er war satt, erholt und kampfbereiter denn je. Er versammelte die Junta. ‹Trotz der Notwendigkeit, die öffentliche Ordnung wieder herzustellen, die der Industrieunfall gestört hat, beharre ich auf der Vernichtungsstrategie gegenüber der Tabbacchera›, erklärte er. Die Stadträte sahen ihn voller Ekel an, den sie nicht mehr verbergen konnten.» Der junge Roberto ist der Erste, der sich auf die Seite von Costanzo schlägt, dabei die Verlobte verliert, weil er durch diese Entscheidung auch den versprochenen Job in der Ölraffinerie nicht erhält. Neben ein paar Arbeitsplätzen hat die Raffinerie eine Menge Umweltprobleme mit sich gebracht. Roberto steht Agata nach dem Tod zur Seite, weil sie ihm einen Job anbietet. Ebenso die kräuterversierte Lisa, die wunderbar zu kochen weiß, der Lehrer Scianna, der von den Plänen des Bürgermeisters hörte. Es gibt einen großen Gewinn in einer Lotterie – ein wichtiges Instrument im Mezzogiorno. Immer mehr Frauen treffen zufällig an einem Tag im Tabakladen zusammen und schmieden gemeinsam einen Plan. In diesem Konstrukt darf der Heilige Geist nicht fehlen, und so mancher auf der bösen Seite wird am Ende abtrünnig. Gut gegen Böse, die Macht der Solidarität, das Gewissen, dass an den Bösen nagt – am Ende siegt das Gute. Italien: Politik und Kirche, Korruption, ehrenwerte Herren, der Glaube an die Losnummer der Lotterie, gierige Männer, Moral und Anstand nach außen bewahrend, Männer, die hinter jedem Rock herblicken, fremdgehen, die Frauen zu Hause schlagen, unterdrücken. Doch mit Letztem ist nun Schluss! Ein Roman, konstruiert in Form der «Commedia dell'arte». «Die Frauen sahen sich einen Augenblick verwirrt an, während der Hund nun den Pulcinella gab und sich quasi nach links und rechts verbeugte. Zwangsläufig musste man lachen.» Die unveränderten Archetypen bilden das Herzstück jeder «Commedia dell'arte», die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert ihre Blütezeit hatte. Tea Ranno hat diese Art der Komödie in die Moderne umgesetzt, wobei sie Colombina, Arlecchino, Brighella, Scaramuccia lediglich neue Namen verpasst hat. Der neapolitanische Pulcinella, ein liebenswerter, lauter und pfiffiger Vielfrass, die Verkörperung der neapolitanischen Volksseele, wird als Hund dargestellt. Typische für diese Form ist auch der derbe Humor, Übertreibung und Frivolität – eben ein Volksstück. Die Werke nehmen Partei für die Schwachen der Gesellschaft, kritisieren und verspotten aber nicht immer die Machthabenden. Die Geschichten sind einfach strukturiert, die Handlung ist vorhersehbar: Am Ende siegt das Gute über das Böse. Tea Ranno hat das sehr fein umgesetzt, schwarzer Humor inklusive. Ein anspruchsvoller Roman der trotz aller Schlichtheit, eine vortreffliche Tonalität trifft, der die Gerüche und den Geschmack Siziliens aufkommen lässt, in den Untertönen Bitternoten. Tea Ranno (Jahrgang 1963), geboren in Sizilien, lebt und arbeitet als Schriftstellerin in Rom. 2005 war sie Finalistin beim Premio Calvino.