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«Als ich zu Hause ankam, sagte ich zu meinem Vater, ich hätte meine Arbeit in Sonora gekündigt. Ich tauge nicht für so was, sagte ich. Was willst du stattdessen machen?, fragte mein Vater. Die Revolution, sagte ich. Welche Revolution?, fragte mein Vater. Die amerikanische Revolution natürlich, sagte ich. Welche amerikanische Revolution?, fragte er.›» Viele Jahre nach dem Tod des chilenischen Autors Roberto Bolaño fanden sich Jugenderzählungen in seinem Nachlass, die autobiografische Züge haben, sowie Werke aus 2002 oder 2003. Es beginnt mit den frühen Werken, einem vergeblichen Auswanderungsversuch von Chile nach Mexiko, es folgt die geglückte Rückkehr von Mexiko nach Chile, die eine herrliche Schiffsreise nach Valparaiso beinhaltet. 1973 macht sich der 20-jährige Arturo Belano auf den Weg von Mexiko nach Chile mit nur einem Ziel: die linke Revolution Allendes zu unterstützen. Der Autor bietet verschiedene Sichten, wie Belano den Tag des Putsches erlebt haben mag. Der Protagonist stolpert in Situationen hinein, die etwas aus ihm machen. Traum und Wirklichkeit vermischen sich bis hin zum Surrealen. In der Erzählung «Komödie vom Schrecken von Frankreich», einem Spätwerk, kommt ein junger Mann namens Diodoro Pilon nach der Beobachtung einer Sonnenfinsternis an einer Telefonzelle vorbei, in der es klingelt. Er hebt den Hörer ab und hat den französischen Autor André Breton auf der anderen Seite der Leitung. Der behauptet, Diodoro sei auserwählt, und fordert ihn auf, der «surrealistischen Untergrundliga» beizutreten, die in Paris in der Kanalisation haust und Texte verfasst. Finanziert wird die Bewegung von zwölf Surrealistenwitwen, die auch textreich die Organisation unterstützen. «Wir wissen, dass es das gibt, aber die Wirklichkeit ist so brutal, dass wir lieber wegschauen. ... Wenn das Paradies, um paradiesisch zu sein, einer grenzenlosen Hölle Vorschub leistet, hat der Dichter die Pflicht, im Paradies die Hölle heiß zu machen.» Roberto Bolaño war der Sohn eines Mexikaners und einer Chilenin, aufgewachsen in Chile, die Jugend verbrachte er in Mexiko. Sein Vater war Boxer und LKW-Fahrer. 1973 kehrte Roberto nach Chile zurück, begeistert vom sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Nach dem Militärputsch befand er sich nur ein paar Tage in Haft, weil Freunde ihm herausholen konnten. Insofern haben die jungen Erzählungen autobiografische Züge. Die kurzen Geschichen sind möglicherweise Skizzen für seine Romane, auf jeden Fall sind sie geprägt vom eigenen Erlebten. Treffen mit Dichtern und Denkern sind immer präsent, das Politische liegt im Subtext verborgen, taucht auf, zieht weiter im Untergrund mit. Bolaño vermischt Fiktion und biographischen Fakten bis hin zum Surrealistischen und manchmal lässt der Autor den Leser am Ende stehen: Mach was draus. Gekonnt verwebt der Autor die Realität mit Fktion, sprachlich mit viel Finesse, das alles mit einer Melancholie unterlegt, die ins Herz trifft. Wer gute lateinamerikanische Literatur liebt, dem wird dieses Buch gefallen. Roberto Bolaño, 1953 in Chile geboren und nach dem Militärputsch von 1973 inhaftiert, ging ins Exil nach Mexiko und 1976 nach Spanien. 2003 starb er in Barcelona. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise, darunter den National Book Critics Circle Award für die amerikanische Ausgabe seines Romans 2666. Bei Hanser erschienen die Romane 2666 (2009), Lumpenroman (2010), Das Dritte Reich (2011) und Die Nöte des wahren Polizisten (2013) sowie der Erzählungsband Mörderische Huren (2014) und der Gedichtband Die romantischen Hunde (2017).