sursulapitschi
Dieses Buch ist beeindruckend und sehr eigen. Der Erzählstil ist umwerfend. Hier malt jemand Bilder mit Worten, wobei oft die Dinge gar nicht konkret benannt werden. Gedankenfetzen und Assoziationen fließen ineinander und kreieren Atmosphäre, machen Musik fühlbar und Gefühle plastisch ohne schwülstige Umschreibungen. Dieser Text hat eine zweite Ebene, eine Art lautmalerische Poesie, die gerade im Hörbuch ganz wundervoll hervortritt. Christian Brückner hat ein Gespür dafür, poetische Texte ohne Pathos vorzutragen. Man hat das Gefühl: Ja, genau so muss man das lesen. Die Story selbst fängt stark an, gerät aber schnell ins Stocken und tritt dann auf der Stelle. Wir sind in der Künstlerszene New Yorks, irgendwann in den 50er Jahren vermutlich, wo der schwarze Musiker Rufus arbeitslos durch Harlem streift und verzweifelt ist. Nach seinem Selbstmord ist man sehr betroffen. Er hatte viele Freunde und auch seine Schwester Ida versteht nicht, was ihn umtrieb. Das ist der Aufhänger und der rote Faden, der uns durch Bars, Kneipen und literarische Zirkel führt. Schauspieler, Musiker, Schriftsteller, deren Mäzene und Bewunderer bilden eine Blase, in der man sich kennt und auch liebt und offen ist für vielerlei Beziehungen. Wir durchleben intensiv mehrere Liebesgeschichten in unterschiedlichsten Konstellationen von Hautfarbe und Geschlecht, die alle an irgendeiner Stelle leidvoll sind und die zeigen, dass der schöne Schein trügerisch ist. Man bewundert sich auf Cocktailparties und hat ein Verhältnis mit der Frau seines besten Freundes. „Allmählich denke ich, wachsen heißt nur, immer mehr über Schmerz zu lernen. Das Gift wird zur Nahrung, man trinkt jeden Tag ein bisschen. Hat man das einmal gesehen, sieht man es dauernd, das ist das Problem.“ Die Botschaft dieses Buches ist schwer greifbar. Es passiert wenig, wird aber viel durchdacht, durchlitten, diskutiert und philosophiert. Anhand des Covers hatte ich mit einem Buch gerechnet, in dem es vorrangig um Rassismus geht. Das ist auch ein Thema, aber nicht allein. „Leiden hat keine Farbe, oder?“ Dieses Buch ist klug und poetisch und so tiefsinnig, dass man tief schürfen muss, um es hinlänglich zu verstehen. Immerhin kann man an jeder Stelle schürfen und findet etwas, die Frage ist nur, ob man das möchte. Ich bin sehr beeindruckt von dieser wunderbaren Sprache, nehme einige Bonmots mit, habe mich aber dennoch ein wenig durch das Buch geschleppt, das viel Tiefgang und deutliche Längen hat. Auf jeden Fall ist es ein Gewinn, dieses Buch als Hörbuch zu genießen. Christian Brückner trägt einen über so manche Länge hinweg und zeigt einem 17 Stunden, 55 Minuten, 56 Sekunden lang, was Poesie ist.