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jankuhlbrodt

Posted on 19.5.2021

Marion Poschmann wurde für ihren Text Laubwerk prämiert. Er ist im Verbrecher Verlag als Buch erschienen. Schon die Gestaltung stellt für mich als Rezipienten einen nicht geringen Anlaß dar, mir dieses Buch zu Gemüte zu führen, außerdem mag ich die kleinen prägnanten Formen der Literatur. Insofern trifft die Schriftenreihe der Crespo Foundation, die die jeweiligen prämierten Texte des Wortmeldungen Literaturpreises präsentiert, genau. In weißen A6 Bänden erscheinen im Verbrecher Verlag also Texte, die sich drängenden Fragen der Gegenwart auf eine literarische Art stellen. Es lebe der Essay! In einem im Buch enthaltenden Interview sagt die aktuelle Preisträgerin Marion Poschmann zu dieser Form: „Bei dem Text Laubwerk handelt es sich um einen Essay, der keiner diskursiven Logik folgt, sondern einer poetischen Argumentation aus Spiegelungen, Widersprüchen, Überblendungen.“ Der Band ist durchschossen, von Illustrationen, die von der Autorin ausgewählt wurden, und die auf Abbildungen aus Meyers Konversationslexikon zurückgehen, und die Zeichnungen von dichtem Laubwerk im Wald zeigen, oder eben die Vorstellung von dichtem Laubwerk. Der Text Poschmanns selbst gliedert sich in verschiedene kürzere Abschnitte, die ihrerseits mit Zwischentiteln versehen sind. Diese Arbeitsweise setzt fort, was in Poschmanns Essayband „Mond in mondloser Nacht“ begann. Die Texte machen dreierlei, sie stellen Wahrnehmung dar, geben sie der Betrachtung preis, und zugleich unterziehen sie diese Betrachtung einer weiteren Betrachtung. Erkenntnis erweist sich als fließend. Aber auch ihr Gegenstand ist nicht festgezurrt. Beweglichkeit erfordert Beweglichkeit. Aber Poschmann geht weiter und entwickelt in wenigen Worten auch eine Art philosophisches Manifest, in dem sie auf die Romantik zurückgreift, und versucht, diese mit Aufklärerischen Gedanken kurzzuschließen. Das gelingt ihr in Anknüpfung an die Frühromantiker wie Schlegel und vor allem Novalis. Dieser Rückgriff begegnet mir in letzter Zeit häufig, und es scheint als sei die Theorie in der aufkeimenden Industrialisierung noch mehr an den Naturgedanken gebunden, der sich im Verlust spiegelt. Aber natürlich setzt Poschmann nicht das ironisch melancholische Gesicht des frühen neunzehnten Jahrhunderts auf. Dafür ist sie zu bewandert, sowohl im übertragenem literarischen Sinn, als auch im direkten Sinne des Wanderns selbst. Allerdings durchstreift sie nicht die abgelegenen Gegenden, sondern weiß, daß das, was wir Natur nennen, längst zivilisatorisch überformt ist. Im Grunde leben wir in einem Garten, und der Blick auf das Naturwüchsige ist Ausblick letztlich in eine andre Zeit. Wir sitzen in einem überdimensionalen Garten, wenn man so will. Jedenfalls findet Poschmann im inneren der Zivilisationen auch Unterschiede, wenn sie zum Beispiel von der unterschiedlichen Bedeutung des Herbstlaubes spricht. In Nordamerika würde das dort intensiver gefärbte Laub zuweilen in Bündeln verkauft, während hier in Deutschland die gefallenen Blättern von Herren mit Laubbläsern vor sich her getrieben werden. Allerdings wir es Laubbläser auch in den USA oder Kanada geben. Besonderes Augenmerk legt Poschmann auf die Stadtbäume, weil diese ja auf einer von der Geschichte vielfach überformten Boden wachsen und deren Bedeutung als Schatten und Sauerstoffspender auch eher zunimmt. „Mitnichten aber stellt sich die Stadtplanung aber auf den Klimawandel ein, mitnichten werden Versuche unternommen, Städte so zu bauen, daß die alten Stadtbäume weiterhin existieren können.“ Hie setzt die politische Dimension des Textes an. Schon beim schreiben dieser Rezension merke ich, dass Poschmanns Essay die Gedanken des Lesers treibt, antreibt den Text aber auch sedierte Gewißheiten zu verlassen, über das Papier hinaus.

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