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sabinescholl

Posted on 19.5.2021

Nach dem gefühlt ewig dauernden Lockdown wollte ich am Bahnhofkiosk nur eine Zeitung kaufen und konnte dann den dort ausliegenden Büchern nicht widerstehen. So lange war es her, dass ich eine Buchhandlung betreten hatte. Das flashig grün-gelbe Cover der Taschenbuchausgabe von T.C.Boyles Roman „Das Licht“ verfehlte seine Sogwirkung nicht. Dann aber konnte ich es nicht in die Hand nehmen, weil sich die Grafik zu bewegen begann, sobald ich darauf blickte und mein Hirn mit der Verarbeitung dieser Eindrücke gleich überfordert war. Schließlich schaffte ich es, begann zu lesen und fand mich in einem typisch Boyle’schen Universum wieder: Eine geschlossene Gesellschaft, deren Mitglieder an einem sozialpsychologischen Experiment beteiligt sind. Das Setting der Versuchsstation gibt es in nahezu all seinen Romanen. Sei es die Künstlercommunity rund um Frank Lloyd Wright, das Labor von Masters&Johnson, die Hippiekommunen der 60er und 70er usf. In „Das Licht“ sammeln sich Menschen rund um Guru Timothy Leary, um Möglichkeiten der Bewusstseinserweiterung mittels LSD zu erforschen. Zuerst in Harvard, dann in Mexiko, dann in einem weiträumigen Anwesen im ländlichen Millbrook kamen die Anhänger, Mitarbeiter, Unterstützer Learys samt Frauen und Kindern zusammen, um auf Trip zu gehen. Er wollte ihnen einen Freiraum bieten, wo sie sich von gesellschaftlichen Zwängen mithilfe der Wunderdroge befreien und einen neuen sozialen Körper begründen könnten. Doch je weiter die Teilnehmer der Langzeitstudie in die angeblichen Weiten des Bewusstseins dringen, desto eher sind sie ihren, damit aufgewühlten Obsessionen ausgeliefert, und sie verlieren erst den Willen, dann die Fähigkeit sich in der realen Welt zurechtzufinden. Anhand einer Kleinfamilie, bestehend aus dem Dissertanten Fitz, seiner Frau Joanie und ihrem halbwüchsigen Sohn Corey beschreibt Boyle, die verschiedenen Stadien dieses Auflösungsprozesses. Während die studierenden Männer noch vorgeben können, dass der sich steigernde Alkohol- und Drogenkonsum wissenschaftlichen Zwecken diene, konzentrieren sich die Frauen vor allem auf sexuelle Erfahrungen. Alle neigen sie immer mehr dazu, ihre Kinder zu vernachlässigen. Schließlich werden den Jugendlichen sogar monatliche Trips erlaubt, um sie in das Experiment miteinzubeziehen. Dazu kommen Schwierigkeiten mit dem universitären Betrieb, Leary wird ob seiner unkonventionellen Methoden als Professor gefeuert, die Medien berichten über ausschweifende Drogenparties, die lokale Polizei kontrolliert die städtischen Eindringlinge übermäßig. Als das Geld knapp wird, becirct Leary eine Millionenerbin, die mithilfe einer Stiftung das Auskommen der sektenähnlich organisierten Community garantiert. Jede noch so unglaubliche Einzelheit dieser Erzählung beruht auf recherchierten Fakten und so bietet der Roman eine Art Reality Check zu den ausschließlich positiven Botschaften, welche Learys eigene Schriften bestimmen, sowie all jener, die den Mythos um ihn und die Droge mitkreierten. Boyle zeigt das traurige Ende vieler, die sich damals aufmachten, die Welt zu verändern und letztlich nicht mehr wurden als eine Avantgarde des Drogenmissbrauchs. Überlebt hat die Hoffnung auf LSD als Mittel zur Therapierung psychischer Krankheiten. Das in den letzten Jahren in Mode gekommene Microdosing will vor allem Kreativität fördern, soziale Verträglichkeit und letztlich die Produktivität einzelner in einer hochkapitalistischen Gesellschaft steigern. Nicht Drop-Out ist das Ziel, sondern umso besseres Funktionieren im neoliberalen Zeitalter. Auch das ist traurig.

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