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hyperventilea

Posted on 18.5.2021

Kaum bekannt und doch bedeutend- lesenswerte Romanbiographie über Clementine Churchill „Besonders fügsam ist sie ja nicht gerade, oder?“ 1908 heiratet Clementine Winston Churchill. Fortan steht sie als seine Ehefrau immer an seiner Seite, bekommt mit ihm fünf Kinder. Das Paar verbringt miteinander viele aufregende, glückliche und schwere Zeiten. Nicht nur privat, auch als Staatsmann unterstützt Clementine Winston stets loyal und zuverlässig. Sie erlebt und gestaltet auch mit ihm gemeinsam während seiner politischen Karriere die Weltgeschichte direkt mit. Marie Benedict erzählt in Ich-Form aus Clementines Sicht, in der Regel chronologisch. Ihr Schreibstil liest sich recht leicht und flüssig, ich empfinde ihn als authentisch. Mich in Clementines Leben hineinzuversetzen, fiel mir daher nicht schwer. Clementine Churchill, genannt Clemmie, stellt eine sehr faszinierende Protagonistin dar. Sie erlebt als Tochter einer eher unkonventionellen, lieblosen Mutter keine einfache Kindheit. Diese Erfahrung, „das Gefühl, in dieser Welt alleine zu sein“, verbindet sie mit Winston und prägt ebenso entscheidend die Beziehung zu ihren eigenen Kindern. Auch Clementine hadert mit dem Muttersein. Sie ist in jeder Hinsicht sehr ehrgeizig und streng mit sich und hat überzogene Ansprüche an sich selbst, die sie kaum erfüllen kann. Zu ihren Kindern pflegt sie ein nicht ganz unbelastetes, teils distanziertes Verhältnis, was auch in der ausgesprochen engen Bindung zu ihrem Mann begründet ist, das wenig Raum für die Kinder lässt. Clemmies Leben dreht sich um Winston, sie ist von ihm abhängig, er von ihr. Winston nennt Clementine seine „Geheimwaffe“. Clementine zeigt sich klug, loyal, kühn, aber auch manchmal recht „kompliziert“ und streitlustig. Sie engagiert sich für andere und wichtige Themen, wie veränderte Frauenrollen und -rechte oder eine Verbesserung der Bedingungen in den Luftschutzräumen, tut dies aber immer auch für ihr eigenes Selbstwertgefühl, was ihr selbst deutlich bewusst ist. Sie hat große Angst davor, „marginalisiert“ zu werden. Auch wenn Clementine mir mit ihren hohen Ansprüchen, ihrer Strenge, ihrem Ehrgeiz nicht immer sympathisch war, hat sie mich doch mehr als beeindruckt. Ihre Persönlichkeit wird nachvollziehbar, überzeugend und stimmig dargestellt. Winston Churchill, den bedeutenden Staatsmann der Weltgeschichte geschrieben hat, aus der Sicht seiner Frau, die ihn besser kennt als niemand sonst, zu erleben, war für mich mehr als interessant und aufschlussreich. „Lady Churchill“ erzählt von einer wahrhaft außergewöhnlichen Frau, die entscheidend an wichtigen historischen Entwicklungen beteiligt war, sei es als anonyme Verfasserin eines Leserbriefs, als selbstbewusste Frau, die Charles De Gaulle sehr direkt und unverblümt die Meinung sagt oder als Vertraute Eleanor Roosevelts, die ihre persönlichen Verbindungen geschickt einzusetzen versucht. Clementine findet wiederholt ganz verschiedene Mittel und Wege, um ihre und Winstons Vorstellungen durchzusetzen. Doch so einflussreich sie auch war, bekannt ist davon wenig. Diese Romanbiographie setzt der faszinierenden, bemerkenswerten, selbstbewussten, manchmal „unbequemen“ Frau, die eben nicht nur Mutter und Ehefrau, sondern auch wichtige politische Akteurin war, ein literarisches Denkmal. Mitunter hatte der Roman seine Längen, stellenweise hätte nach meinem Geschmack etwas gestraffter und lebendiger erzählt werden können. Dann wurde ich zwar nicht mitgerissen, aber im Großen und Ganzen dennoch gut und solide unterhalten. Clementine Churchill ist ein weiteres beeindruckendes Beispiel dafür, dass manchmal auch aus dem Hintergrund agierend und ohne lauten Krawall die Welt verändert werden kann.

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