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gwyn

Posted on 7.5.2021

«Wenn man in seiner Jugend zutiefst verletzt oder gedemütigt wird, wenn einem das Gefühl vermittelt wird, man sei nichts wert, bekommt man später nur selten die Gelegenheit, seine Peiniger auf Augenhöhe zur Rede zu stellen und ihnen zu zeigen, was für Feiglinge sie im Grunde sind.» Ich persönlich halte James Lee Burke für einen der besten Autoren im Genre literarische Krimis. Seine Dave-Robicheaux-Serie spielt im Süden der USA, in Louisiana, im Gebiet New Iberia und New Orleans. Neben seinen tiefgehenden Figurenzeichnungen hat man beim Lesen das Gefühl, sich in den Bayous zu befinden, schmeckt das Salz auf den Lippen, sieht die Sonne im lila Firmament untergehen oder einen Feuerball, getaucht in Rot und Orange. Ob Musik oder Essen, der Menschenschlag der Cajuns, der Schwarzen und ehemaligen Großgrundbesitzer, das Feeling für Louisiana nimmt den Leser mit. Dabei ist es eine Noir-Serie. Die Geschichte beginnt mit der brutalen Vergewaltigung und Ermordung von Amanda Boudreau, einem hübschen Teenager-Mädchen, dem das Gesicht weggeschossen wird. Der Verdächtige ist der Musiker Tee Bobby Hulin, ein junger schwarzer Mann, meist auf Drogen. Doch Dave Robicheaux zweifelt an dessen Schuld und ermittelt weiter. Ein Gespräch mit der Großmutter des jungen Manns führen in die Vergangenheit zu dem dem Plantagenaufseher Legion Guidry, der Inkarnation des Bösen, bei dem es selbst Dave eiskalt den Rücken hinunterläuft. «... über den Einmarsch der Bundestruppen im Jahr 1863 und die Wiederherstellung der alten Pflanzeroligarchie durch die White League und die Knights of the white Camellia hinweg, bis in die Neuzeit, als man bewusst dafür sorgte, dass Cajuns und Farbige arm und ungebildet blieben, m sicherzustellen, dass jeder Zeit ein riesiges Angebot an leicht lenkbaren Arbeitskräften zur Verfügung stand.» Ein weiterer brutaler Mord an einer jungen Frau geschieht. Ihr Vater, Joe Zeroski, gehört zum organisierten Verbrechen. Der ermittelt auf eigene Faust. Durch Stadt geht ein Bibelverkäufer, der schleimige Marvin Oates, der auch seine Nase überall hineinsteckt – und nicht nur die. Daves Freund Clete Purcel, ein Detektiv, steht ihm zur Seite, bringt aber gleichzeitig Chaos in die Ermittlungen. Der ehemalige Polizist nimmt es mit dem Gesetz nie so genau und prügelt sich gern und steht der Damenwelt immer offen entgegen. Dave Robicheaux ist Alkoholiker und kämpft auch in diesem Band das ein oder andere Mal mit seinen Dämonen. «Als ich ihn im Zeugenstand sah, ging mir wieder ein Gedanke durch den Kopf, der mir zu schaffen machte, seit ich Polizeibeamter geworden war – dass die Menschen zu dem Zeitpunkt, da sie eine Tat begehen, sei sie noch so schändlich oder verwerflich, immer das Gefühl haben, sie täten genau das, was sie tun sollten.» Rassismus und gewalttätige Gräueltaten sind mit Louisianas Vergangenheit verbunden, die sich bis heute durchziehen. Weiß gegen Schwarz und Cajun, gebildet gegen ungebildet, reich gegen arm, eine komplexe Gesellschaft, ein komplexer Krimi. Kinder, denen Schlimmes angetan wird, die als Erwachsene dieses Päckchen tragen, Machthungrige, Rachsüchtige, psychisch Kranke, Nutten, Drogenabhängige, Anwälte, Polizisten, Ankläger, die organisierte Kriminalität, James Lee Burke greift wieder mitten hinein in die Gesellschaft. Drei brutale Morde an drei Frauen sind aufzuklären. Hängen die Taten zusammen – ein Täter? Die Sache ist verzwickt, mit der Polizei redet man im Milieu nicht gern. Komplexe Typen, ein feingesponnener Noir-Krimi, literarisch ausgefeilt, ein Autor, der tief in die Gesellschaft eindringt. Was ist Moral, fragt sich Burke immer wieder, was ist gut und was ist böse? Dave steht auf der Seite der Moral, er hasst Ungerechtigkeit. Um gerecht zu sein, darf man nicht immer hinter dem Gesetzbuch stehen. Den modrigen, fischigen Duft des Bayous in der Nase, unter einem Peakanbaum sitzend ein Austern-Poorboy verspeisen und die Blitze über dem Bajou beobachten. Man sollte nur nicht Legion Guidry über den Weg laufen ...

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