magineer
Ein kurzer Blick auf ein tragisches Leben Im Jahre 1881 zieht die siebzehnjährige Camille Claudel mit ihrer Familie aus dem ländlichen Villeneuve ins mondäne Paris, um an einer privaten Kunstakademie ihr unbestreitbares Talent als Bildhauerin schulen zu lassen. Damit beginnt eine turbulente Zeit im Leben der jungen Frau, denn spätestens als Camille den über zwanzig Jahre älteren Auguste Rodin kennenlernt, prallen zwei starrköpfige Urgewalten der Kunstwelt aufeinander - und entbrennen füreinander in unfassbarer Leidenschaft. "Die Bildhauerin" ist Teil einer losen Reihe im Aufbau-Verlag, die sich in pastellener Sepia-Optik eine biographische Aufarbeitung des Lebens berühmter historischer Frauenfiguren auf die Fahnen geschrieben hat. Das geht natürlich nicht ohne die für derlei Romane gültigen Grundstrukturen, so dass hier das Augenmerk klar auf den romantischen Begegnungen der jeweiligen Persönlichkeiten liegt, ergänzt um ein farbenfrohes Sittenbild der historischen Epoche, innerhalb deren festgefügtem Wertesystem Frauen um ihre Anerkennung und das Recht auf freien Ausdruck ihrer Leidenschaft streiten müssen. Das funktioniert im Angesicht geschichtlicher Akkuratesse mal mehr, mal weniger gut, aber hier hatte Autorin Pia Rosenberger immerhin mit dem Vorbild der echten Camille Claudel eine tatsächlich starke, wenn auch tragische Frauenfigur. "Die Bildhauerin" ist kompetent geschrieben und hakt (mit einigen Rückblenden in die Kindheit) brav die Etappen eines knappen Jahrzehnts im frühen Leben der Künstlerin ab - dabei gelingt ein durchaus umkitschiges Bild der Beziehung zwischen Rodin und Claudel, die beide als gleichberechtigte Partner zeigt, obwohl schon früh klar ist, dass sich der berühmteste bildende Künstler des ausgehenden 19. Jahrhunderts niemals vollständig an seine große Muse binden wird. Als Leser_in bekommt man weiterhin einen flüchtigen Einblick in die Pariser Kunstgesellschaft dieser Zeit, begegnet kurz Monet, Degas und Camille Claudel's zweitem hartnäckigem Verehrer Claude Debussy. Trotzdem kann man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass die "Bildhauerin" bloße Nacherzählung betreibt, Themen nur anreißt und komplexe Emotionen einer undefinierbaren Leidenschaft für die Kunst opfert, die in vielen der kleinen hier geschilderten Episoden nur behauptet bleibt. Letztlich wird der Roman für Gelegenheitsleser_innen sicherlich ein schöner Appetithappen bleiben, den bereits vorgebildeten Kunstinteressierten bleibt ein schaler Nachgeschmack, denn die "Bildhauerin" endet gegen 1890 ziemlich abrupt und klammert sowohl die nächste große Schaffensphase von Camille Claudel als auch ihre weitere Beziehung zu Rodin aus (die nur noch ein paar weitere Jahre anhielt, bevor er sich 1898 endgültig gegen sie entschied). Camille arbeitet weiter, schafft noch einige Werke von Rang, aber ihre Leidenschaft ist erloschen. Nach dem Tod ihres Vaters 1913 wird sie von der immer noch wütenden Mutter und ihrem stoischen Bruder in eine Nervenheilanstalt eingeliefert, die sie trotz gegenteiligen Ratschlags der Ärzte bis zum Ende ihres Lebens dreißig Jahre später (1943) nicht mehr verlassen wird. Weggesperrt, für immer. Rodin hat Camille nicht einmal dort besucht. Stattdessen heiratet er nach über fünfzig Jahren (und weiteren langen Liebschaften) im Januar 1917 dann doch noch seine langjährige Haushälterin Rose - einen Monat vor ihrem Tod. Seine einstige Muse hat er da längst vergessen.