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seeker7

Posted on 4.5.2021

Ein neuer Roman von ZEH ist sowieso schon ein literarisches Ereignis (auf jeden Fall hinsichtlich der erwartbaren Verkaufszahlen). Hangelt sich ein solches Werk hautnah am Puls der Zeit entlang, bekommt es den Charakter eines politischen Statements. Das ist um so unvermeidbarer, als sich die Autorin auch auf anderen Kanälen in den gesellschaftlichen Diskurs offensiv einbringt. Es geht daher im Folgenden um ein Buch und um die darin lancierten Botschaften. ZEH beschreibt aus der Ich-Perspektive die Erlebnisse einer jungen - und bis dahin erfolgreichen - Werbetexterin, die sich im Rahmen einer Beziehungskrise aus dem quirligen und überdrehten Berlin in das ländliche brandenburgische Umfeld zurückzieht. Sie trifft dort (erwartungsgemäß) auf extrem ungewohnte und irritierende Strukturen, nicht nur räumliche, sondern vor allem soziale bzw. menschliche (daher auch der Titel, der natürlich auch noch ein Wortspiel enthält). Was dann erzählt wird, kann am ehesten als eine Art modernes Märchen beschrieben werden: Trotz ungünstigster Ausgangsbedingungen entwickeln sich Bezüge und Beziehungen, weil sich - wer hätte das gedacht - hinter den Zuschreibungen, Selbstinszenierungen und Klischees echte Menschen verbergen. Damit diese Grundbotschaft auf jeden Fall verstanden wird, trägt die Autorin ziemlich dick auf: Statt Risse in den Selbst- und Fremdbildern zu beleuchten, wird gleich eine wundersame Gegenrealität aufgespannt. Konkret heißt das: Der wahre Kern des vermeintlich Bösen und Abstoßenden ist nicht nur freundlich und hilfsbereit, sondern auch verletzlich und sensibel. Damit das auch ausreichend emotional aufgeladen wird, geht es auch um ein zugleich vernachlässigtes und geliebtes Kind, um unheilbare Krankheiten, einen Über-Vater und eine süße Hündin mit einem Männernamen. Alles ein bisschen dolle... Während ZEH also die mitgebrachten Vorurteile der Protagonistin Schritt für Schritt zerlegt und damit eine Lanze für die missverstandenen und abgewerteten Provinzler bricht, rechnet sie auf der anderen (urbanen) Seite geradezu unbarmherzig mit der maßlos überdrehten Klima- und Coronawelt ab. Hier lugen die persönlichen Einstellungen der Autorin wohl am deutlichsten hervor: Greta Thunberg hat aus dem Partner der geflüchteten Kreativen endgültig einen zwanghaften Klima-Irren gemacht; die Corona-Einschränkungen gilt es in erster Linie als bürokratischen Schwachsinn zu belächeln. Holzhammer, ich hör dich sausen... Auch die Figur der Ich-Erzählerin machte mich als Leser ratlos. Sie wirkt - angesichts ihrer beruflichen Karriere - oft irritierend naiv. Gut, solche inneren Widersprüche können ja eine Romanfigur durchaus interessant machen. Als absolut überfordernd habe ich aber wahrgenommen, dass die aus grün-links-liberalen Milieu stammende Medienfrau ihre Verbrüderung mit der archaischen Landbevölkerung vorrangig durch gemeinsames Rauchen (gemeint sind wirklich normale Zigaretten), Biertrinken, Herumfahren in Diesel-Pickups und Grillen ganzer Fleischberge zelebriert. Juli ZEH badet ganz offensichtlich in ihrem Anti-Mainstream-Bedürfnis. Man könnte auch sagen: Ihr - lobenswertes - Verständnis für den bodenständigen Teil unserer Gesellschaft entwickelt sich mehr und mehr zu einer unkritischen Anbiederung. Zum Schluss ein Wort zur Sprache. Auch in diesem Roman schafft ZEH wunderschöne Sprachbilder. Das kann sie. Hier stellt sich spontan Lesevergnügen ein. Ein paar Zeilen weiter ist man nicht mehr ganz sicher, ob nicht einige Warnschilder übersehen wurden, auf denen stand "Vorsicht Kitsch". ZEH legt einen Roman vor, mit dem sie auf der einen Seite Türen öffnet (und damit aufklärerisch und verbindend wirkt); auf der anderen Seite rechnet sie ab - und kappt dadurch die Fäden, die ja eigentlich die Gesellschaft zusammenhalten sollten. Warum tut sie das?

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